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Gefährliche Trauer

Gefährliche Trauer

Titel: Gefährliche Trauer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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seines stillen Wissens, was geschehen war und in Zukunft noch mehr unschuldige Menschen ereilen würde, wenn er nichts unternahm, lange genug mit sich herumgeschleppt.
    Monk forschte in den Gesichtern der Geschworenen und wußte, daß sie auf mildernde Umstände plädieren würden. War das genug?
    Ohne sich dessen bewußt zu sein, suchte er in der Menge nach Hester Latterly. Hatte sie nicht gesagt, sie würde kommen? Er konnte einfach nicht an den Fall Grey denken, ohne daß sie ihm in den Sinn kam. Schade, wenn sie das Ende verpassen würde.
    In der ersten Reihe hinter den Anwälten saß Callandra Daviot, neben sich ihre Schwägerin Fabia Grey, Ladywitwe Shelburne. Lovel Grey, der es nicht wagte, seinem Bruder auf der Anklagebank in die Augen zu sehen, saß blaß und gefaßt auf ihrer anderen Seite. Das familiäre Trauerspiel schien seinen Charakter gestärkt zu haben; er schreckte nicht mehr wie früher vor einer Schuldzuweisung zurück. Obgleich seine Mutter weniger als einen Meter von ihm entfernt saß, lagen Abgründe zwischen ihnen, die er nicht mit einem einzigen Blick zu überwinden versuchte.
    Fabia thronte auf ihrem Platz wie in Stein gemeißelt, weiß, kalt und unnachgiebig. Die verheerende Desillusionierung hatte sie vernichtet, sie bestand nur noch aus Haß. Das zarte, einst schöne Gesicht war durch die Heftigkeit ihrer Gefühle hart geworden, die Linien um ihren Mund häßlich, das Kinn spitz, der Hals dünn und faltig. Wären nicht so viele Menschen durch ihren Selbstbetrug zerstört worden, hätte sie Monk vermutlich leid getan, aber wie die Dinge lagen, verspürte er lediglich einen Anflug von Angst. Sie hatte den von ihr idealisierten Sohn unter schrecklichen Umständen verloren, und damit war aller Glanz und alle Freude aus ihrem Leben verschwunden. Nur Joscelin hatte sie zum Lachen gebracht, Joscelin hatte ihr geschmeichelt, ihr gesagt, wie schön, charmant und amüsant sie sei. Schlimm genug, daß er in den Krimkrieg ziehen und verwundet zurückkehren mußte, aber daß er in seiner eigenen Wohnung am Mecklenburg Square erschlagen worden war, hatte sie nicht mehr verkraftet. Weder Lovel noch Menard konnten ihn ersetzen. Sie hatte weder die Absicht, ihnen die Chance dazu zu geben, noch die Liebe oder Geborgenheit anzunehmen, die sie ihr gern geschenkt hätten.
    Die bittere Wahrheit, die Monks Ermittlungen ans Licht gebracht hatte, hatte sie zerschmettert, und das würde sie nie verzeihen.
    Zu Lovels Linken saß seine Frau Rosamond, ebenfalls gefaßt und einsam.
    Der Richter sprach ein kurzes Schlußwort, die Geschworenen zogen sich zur Beratung zurück. Aus lauter Angst, den Sitzplatz zu verlieren und den Höhepunkt des Spektakels zu verpassen, rührte sich keiner vom Fleck.
    Monk fragte sich, wie oft er wohl schon einer Gerichtsverhandlung beigewohnt hatte, bei der jemand dank seiner Intervention auf der Anklagebank saß. Die Notizen der in seinen Akten festgehaltenen Fälle, die er auf der Suche nach Anhaltspunkten über sich selbst so eifrig verschlungen hatte, hörten alle nach der Demaskierung des Täters abrupt auf. Sie hatten auf einen vorsichtigen Ermittler hingedeutet, der nur sehr selten einen Fehler machte und ohne Verständnis für die Irrtümer anderer war. Obwohl er von vielen bewundert wurde, schien ihn außer Evan niemand wirklich zu mögen - und wenn er den Mann betrachtete, der aus den Unterlagen hervorging, wunderte ihn das nicht die Spur. Er mochte ihn selbst nicht.
    Evan hatte ihn erst nach dem Unfall kennengelernt, der Fall Grey war der erste, den sie gemeinsam bearbeitet hatten.
    Monk wartete weitere fünfzehn Minuten, während denen er sich das wenige durch den Kopf gehen ließ, was er über sich wußte, und versuchte, sich ein Bild von dem Rest zu machen.
    Die Geschworenen kehrten zurück, die Gesichter angespannt, die Blicke besorgt. Das Stimmengesumm ebbte ab, bis nur noch das Rascheln von Stoff und das Quietschen von Stiefeln zu hören waren.
    Der Richter erkundigte sich, ob sie zu einem einstimmigen Urteil gelangt wären.
    Sie bejahten. Er fragte den Obmann zu welchem, woraufhin dieser antwortete: »Schuldig, aber wir plädieren auf mildernde Umstände, Euer Ehren. Wir bitten Sie inständig, soviel Gnade walten zu lassen, wie Ihnen im Rahmen des Gesetzes möglich ist, Sir.«
    Monk registrierte, daß er eine vollkommen aufmerksame Haltung angenommen hatte und ganz flach atmete, damit ihm nichts des Gesagten entging. Als neben ihm jemand zu husten begann, hätte er dem

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