Gefährliche Trauer
ungeheuerliche Beschuldigung ausstoßen müssen? Hat der Fall Grey Ihnen nicht gereicht? Wo haben Sie bloß Ihre fünf Sinne gelassen!«
»An dem Beweismaterial ist nicht zu rütteln.« Monks Freude galt ausschließlich Runcorns Panik. Er hätte sich wesentlich lieber nach einem Raubmörder umgesehen, wie schwer es auch sein würde, einen solchen zu finden. Es wäre mit einem geringeren Risiko verbunden, als eine Familie wie die Moidores zu beschuldigen, sei es auch nur im Rahmen einer natürlichen Schlußfolgerung.
Runcorns Mund klappte auf - und wieder zu.
»Ja, Sir?« soufflierte Monk.
Zwei Gefühlsanwandlungen jagten nacheinander über Runcorns Gesicht. Erst nacktes Entsetzen bei dem Gedanken an das politische Echo, falls Monk jemandem zu nahe treten sollte; dann die Hoffnung, daß er eine ausreichend verheerende Katastrophe herbeiführen würde, um seine weitere Karriere zu ruinieren.
»Verschwinden Sie«, preßte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Und Gott steh Ihnen bei, wenn Sie einen Fehler machen. Ich tu's nicht, glauben Sie mir!«
»Oh, auf die Idee wäre ich gar nicht gekommen - Sir.« Monk nahm für den Bruchteil einer Sekunde Haltung an - spöttisch, nicht als Bezeugung seiner Ehrerbietung - und stolzierte hinaus.
Er verachtete Runcorn und fragte sich erst, als er seine Behausung in der Grafton Street fast erreicht hatte, wie der Mann bei ihrer ersten Begegnung gewesen sein mochte, bevor Monk ihm mit seinem rasenden Ehrgeiz, seinem wendigen Verstand und seinem zum Teil grausamen Humor zugesetzt hatte. Diese Überlegungen waren nicht gerade angenehm und nahmen seinem Gefühl der Überlegenheit die Würze. Mit ziemlicher Sicherheit hatte er eine Menge zu dem beigetragen, was aus seinem Vorgesetzten geworden war. Daß Runcorn schon immer ein schwacher, eitler und weniger begabter Mensch gewesen sein mußte, war eine recht fadenscheinige Entschuldigung. Je mehr Mängel jemand besaß, desto schäbiger war es, einen Vorteil aus seinen Unzulänglichkeiten zu ziehen, um ihn zu vernichten. Wenn die Starken kein Verantwortungsgefühl an den Tag legten und gnadenlose Selbstsucht walten ließen, welche Chance hatten dann die Schwachen?
Monk ging früh zu Bett und starrte noch eine ganze Weile von sich selbst angewidert an die Decke.
Der halbe Londoner Adel war bei Octavia Hasletts Beerdigung vertreten. Unzählige Kutschen mit nach Möglichkeit schwarzen Pferden verstopften den Langham Place und hielten den normalen Verkehr auf. Überall entdeckte man große schwarze Federn, flatternden Trauerflor, Lakaien und Kutscher in dunkler Uniform, auf Hochglanz poliertes Pferdegeschirr - aber kein Teil, das klingelte oder anderes Geräusch von sich gab. Ein diesbezüglich ambitionierter Mensch hätte die Familienwappen vieler vornehmer Häuser ausmachen können, nicht nur aus Großbritannien, sondern auch aus Frankreich und Deutschland. Die Trauergäste trugen erhabenes, atemberaubend modisches Schwarz; gigantische Reifröcke mit ebenso riesigen Petticoats darunter, Damenhüte mit schmuckvollen Bändern, glänzende Zylinder, gewienerte Stiefel.
Die Hufe der Pferde steckten in Stoffsäckchen, damit sie nicht zu laut klapperten, die Räder der Kutschen waren sorgfältig geölt, die Stimmen gedämpft. Die spärlichen Passanten verlangsamten unwillkürlich den Schritt und senkten ehrfürchtig die Köpfe.
Von seinem Standort auf der Treppe der All Saints Church aus, wo Monk wie ein Dienstbote wartete, hatte er einen ausgezeichneten Blick auf die soeben eintreffenden Moidores. Die Vorhut bildete Sir Basil mit seiner Tochter Araminta, deren auffallende Blässe und feuriges Haar trotz des schwarzen Schleiers deutlich zu sehen waren. Sie hielt seinen Arm, während sie die Stufen hinaufschritten, wenngleich man auch den Eindruck hatte, daß sie ihn ebensosehr stützte wie er sie.
Es folgte Beatrice Moidore, die sich ohne jeden Zweifel nur dank Cyprians Hilfe aufrecht halten konnte. Sie ging kerzengerade, aber ihr Gesicht war so stark verschleiert, daß es unmöglich zu erkennen war, Rücken und Schultern wirkten unglaublich steif. Zweimal geriet sie ins Stolpern, woraufhin er ihr sanft auf die Beine half und beruhigend auf sie einsprach.
In einiger Entfernung - sie hatten eine eigene Kutsche genommen - näherten sich Myles Kellard und Romola Moidore, die zwar nebeneinander gingen, jedoch nicht mehr füreinander zu sein schienen als offizielle Begleitpersonen. Romola bewegte sich, als ob sie unglaublich müde
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