Gefährliche Trauer
es noch etwas geben sollte, womit wir Ihnen helfen können, werden wir das natürlich tun«, fuhr er schließlich fort.
»Es ist kurz nach Mittag, und ich wüßte nicht, wie wir Sie momentan noch weiter unterstützen sollen. Es steht Ihnen oder Ihren Untergebenen jederzeit frei, die Dienstboten zu vernehmen, wenn das Familienleben dadurch nicht beeinträchtigt wird. Ich werde Phillips dahingehend instruieren. Für den Augenblick bedanke ich mich erst einmal für Ihr diskretes Verhalten. Ich verlasse mich darauf, daß es so bleibt. Sollten Sie irgendwelche Fortschritte machen, melden Sie es mir oder, falls ich nicht da bin, meinem Sohn. Es wäre mir allerdings lieber, wenn Lady Moidore nicht damit behelligt wird.«
»Jawohl, Sir Basil.« Monk wandte sich zu Cyprian um.
»Vielen Dank für Ihre Hilfsbereitschaft, Mr. Moidore.« Er verabschiedete sich und wurde hinausbegleitet, diesmal nicht von dem Butler, sondern von einem atemberaubend gutaussehenden Lakai, dessen Schönheit lediglich durch einen etwas zu kleinen, durchtriebenen Mund getrübt wurde.
In der Halle stieß er auf Lady Moidore. Er hatte die redliche Absicht, mit nicht mehr als einem höflichen Kopfnicken an ihr vorbeizugehen, aber sie kam schnurstracks auf ihn zu und entließ den Lakai mit einer raschen Handbewegung, so daß ihm nichts anderes übrigblieb, als stehenzubleiben und sie anzusprechen.
»Guten Tag, Lady Moidore.«
Es war schwer zu sagen, ob ihre Blässe lediglich eine Begleiterscheinung ihrer bemerkenswerten Haarfarbe war, die fahrigen Bewegungen und die weit aufgerissenen Augen ließen jedoch keinen Zweifel offen.
»Guten Morgen, Mr. Monk. Meine Schwägerin behauptet, Sie glauben nicht an einen Einbrecher. Stimmt das?«
Er ersparte ihr nichts, indem er log. In dem Fall würde sie die Wahrheit von jemand anderem erfahren und ihm in Zukunft nicht mehr vertrauen. Das fügte ihrer ohnehin schwierigen Situation nur eine weitere Bürde hinzu.
»Tut mir leid, Ma'am, ja.«
Sie stand vollkommen reglos vor ihm. Er sah nicht einmal das schwache Heben und Senken ihres Brustkorbs, wenn sie atmete.
»Also hat einer von uns Tavie getötet«, stellte sie schließlich zu seinem Erstaunen fest. Sie wich der einzig möglichen Schlußfolgerung weder aus, noch erging sie sich in Beschönigungen. Sie war die einzige in der ganzen Familie, die die Schuld nicht automatisch bei den Dienstboten suchte, und er bewunderte sie zutiefst für den Mut, den sie das gekostet haben mußte.
»Haben Sie Mrs. Haslett noch einmal gesehen, nachdem sie am fraglichen Tag nach Hause gekommen war, Ma'am?« fragte er freundlicher.
»Ja. Warum?«
»Offenbar hatte sie unterwegs eine bedrückende Entdeckung gemacht und laut Mr. Thirsk die Absicht, die Angelegenheit weiter zu verfolgen, bis sie genügend Beweise zusammen hätte. Hat sie mit Ihnen darüber gesprochen?«
»Nein.« Ihre Augen waren derart weit aufgerissen, daß man den Eindruck gewann, der Gegenstand ihrer Betrachtung befände sich so dicht davor, daß sie nicht einmal mehr blinzeln konnte. »Mit keinem Wort. Sie war während des Dinners sehr still, abgesehen von einigen etwas unfreundlichen Bemerkungen gegenüber…«, ein schwaches Stirnrunzeln, »… Cyprian und ihrem Vater. Ich führte es auf einen Migräneanfall zurück. Die Menschen sind eben manchmal unfreundlich zueinander, vor allem wenn sie sich Tag für Tag unter demselben Dach aufhalten müssen. Bevor sie zu Bett ging, kam sie in mein Zimmer, um gute Nacht zu sagen. Ihr Morgenmantel hatte einen Riß. Ich erbot mich, ihn zu nähen - sie konnte noch nie besonders gut mit Nadel und Faden umgehen…« Ihre Stimme versagte. Die Erinnerung mußte unerträglich klar gewesen sein. Ihre Tochter war tot! Sie hatte den Verlust noch nicht ganz begriffen - es schien, als hätte das Leben nur einen kleinen Abstecher in die Vergangenheit gemacht.
Er scheute davor zurück, in sie zu dringen, mußte es aber tun.
»Was genau hat sie zu Ihnen gesagt, Ma'am? Jedes Wort kann wichtig sein.«
»Nur ›gute Nacht‹, sonst nichts. Sie war in ziemlich sentimentaler Stimmung, sehr sentimental sogar, daran erinnere ich mich gut, und sie gab mir einen Kuß. Es war fast so, als hätte sie gewußt, daß wir uns nicht wiedersehen würden.« Sie legte die Hände vors Gesicht und zog die langen, schlanken Finger auseinander, bis sich die Haut straff über ihren Wangenknochen spannte. Er hatte das überwältigende Gefühl, daß es nicht Trauer war, was ihr zusetzte, sondern die
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