Gefährliche Trauer
einer ähnlichen Grimasse reagierte. Er war bereits zweimal bei den Moidores gewesen, hatte jedesmal dieselben Fragen gestellt und die gleichen schroffen, nervösen Antworten erhalten. Die Angst der Leute ließ nicht automatisch auf ihre Schuld schließen. So gut wie alle Dienstboten fürchteten sich vor der Polizei. Die bloße Peinlichkeit einer solchen Situation reichte aus, ihren Ruf zu beflecken, von dem Verdacht, mit einem Mord etwas zu tun zu haben, gar nicht erst zu reden. »Irgend jemand aus dem Haus hat sie umgebracht«, fügte er hinzu.
Evan hob die Brauen. »Einer von den Dienstboten?« Obwohl er sich Mühe gab, seine Überraschung zu verbergen, klang die Frage ziemlich skeptisch, was durch seinen unschuldigen Blick nur verstärkt wurde.
»Das wäre wesentlich bequemer«, meinte Monk. »Wir würden bestimmt mehr Lorbeeren bei den tonangebenden Stellen ernten, wenn wir jemand verhaften, der im Kellergeschoß haust. Aber ich denke, dieses Geschenk können wir schon aus Vernunftgründen nicht annehmen. Nein, eigentlich erhoffe ich mir von ausgiebigen Gesprächen mit dem Personal, etwas mehr über die Moidores zu erfahren. Dienstboten bekommen viel zu sehen, und wenn sie auch darauf getrimmt sind, nichts von dem zu verraten, schlüpft ihnen manchmal doch das eine oder andere Wort ungewollt über die Lippen, wenn es um ihre eigene Haut geht.« Sie standen in Monks Büro, das kleiner und dunkler war als Runcorns; selbst der strahlende, klare Herbstmorgen schaffte es nicht, Helligkeit im Raum zu verbreiten. Auf dem einfachen Holztisch türmten sich die Unterlagen, den alten Teppich zierte eine abgetretene Laufschneise von der Tür zum Stuhl. »Sie haben mit den meisten von ihnen gesprochen. Ist Ihnen irgendwas aufgefallen?«
»Das übliche heile Bild«, sagte Evan langsam. »Die Mädchen sind zum Großteil noch sehr jung. Oberflächlich betrachtet machen sie einen ziemlich flatterhaften Eindruck, kichern die ganze Zeit, tuscheln miteinander und so.« Ein wenig Sonnenschein kämpfte sich durch die staubigen Fensterscheiben und bemächtigte sich seines Gesichts, so daß seine Züge deutlich hervortraten. »Dabei verdienen sie ihren Lebensunterhalt in einer starren Welt voller Gehorsam und Unterwürfigkeit - bei Leuten, denen sie im Grunde vollkommen egal sind. Die Realität, wie sie sie kennengelernt haben, ist viel härter als meine. Manche von ihnen sind noch richtige Kinder.« Er blickte zu Monk auf. »Noch ein oder zwei Jahre, dann könnte ich ihr Vater sein.« Der Gedanke schien ihm nicht zu gefallen, denn er runzelte leicht die Stirn. »Die jüngste Hausmagd ist erst zwölf. Ich hab bis jetzt noch nicht rausgefunden, ob sie etwas wissen, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß es eine von ihnen war.«
»Von den Mädchen?« versuchte Monk sich zurechtzufinden.
»Na ja - bei den älteren war's vielleicht denkbar.« Evan machte erneut ein zweifelndes Gesicht. »Obwohl ich nicht wüßte, warum sie das hätten tun sollen.«
»Und die Männer?«
»Der Butler sicher nicht.« Evan grinste ein wenig verzerrt.
»So ein trockener, alter Knochen - unglaublich steif, wie ein langgedienter Soldat. Wenn den überhaupt mal jemand zu irgendeiner Gefühlsregung veranlaßt hat, dann muß das schon so lange her sein, daß die Erinnerung inzwischen vollkommen verblaßt ist. Und warum in aller Welt sollte ein gnadenlos respektierlicher Butler die Tochter seiner Herrin in ihrem eigenen Bett erstechen? Was könnte er da mitten in der Nacht zu suchen haben?«
Monk mußte unwillkürlich lächeln. »Sie informieren sich nicht genug in der Sensationspresse, Evan. Sie sollten ab und zu mal den Straßensängern zuhören.«
»Quatsch«, sagte Evan heftig. »Nicht Phillips.«
»Dann vielleicht ein Lakai, ein Stallbursche oder der Stiefelputzer? Und wie war das mit den älteren Hausmädchen?« Evan saß mit einer Pobacke auf dem Fensterbrett.
»Die Stallburschen schlafen in den Ställen, und die Hintertür ist nachts abgesperrt. Der Stiefelputzer wäre eine Möglichkeit, aber er ist erst vierzehn; kann mir beim besten Willen kein Motiv für ihn vorstellen. Und die älteren Hausmädchen - ja, das wäre wie gesagt denkbar, aus Eifersucht oder wegen irgendeiner Kränkung, aber da müßte der Betreffenden schon sehr übel mitgespielt worden sein, daß sie deshalb einen Mord begeht. Keine von ihnen macht einen irren Eindruck oder hat je auch nur einen Anflug von Gewalttätigkeit gezeigt. Und um so was zu tun, müßte sie komplett
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