Gefährliche Trauer
Schultern. »Sir Basil hat natürlich nie etwas in der Richtung verlauten lassen, aber vielleicht hielt er ihn für einen Schwindler. Oder fand, daß er sich auf irgendeine Art und Weise, über die ein Gentleman nicht sprechen würde, unehrenhaft benommen hat?« Sie blickte starr geradeaus. Ein Grüppchen eleganter Damen und Herren kam ihnen entgegen.
Sie nickte ihnen kurz zu, machte jedoch keinerlei Anstalten, sie zu begrüßen. Anscheinend störten sie die Umstände. Monk sah deutlich, wie ihr das Blut in die Wangen stieg, und wußte genau, worin ihr Dilemma bestand. Sie wollte nicht, daß man Spekulationen anstellte, mit wem sie da mutterseelenallein im Park herumspazierte, und noch weniger stand ihr der Sinn danach, ihren Bekannten einen Polizisten vorzustellen.
Monk verzog den Mund zu einem säuerlichen Lächeln, während er sich im stillen selbst verspottete, da es ihm genausoviel ausmachte wie ihr. Er verachtete sie, weil ihr Äußerlichkeiten so wichtig waren, und sich selbst, weil es ihn aus den gleichen Gründen ähnlich empfindlich traf.
»War er ungehobelt, grob?« riß er sie leicht gereizt aus ihren Gedanken.
»Überhaupt nicht«, erwiderte sie voller Genugtuung, ihm widersprechen zu können. »Er war charmant, freundlich, humorvoll, nur eben wild entschlossen, alles auf seine Weise zu tun - wie Octavia auch.«
»Nicht leicht zu beherrschen«, stellte Monk trocken fest. Harry Haslett gefiel ihm immer besser.
»Nein.« Sie klang plötzlich fast neidisch. Zum erstenmal kam hinter dem wohlerzogenen Trauergebaren echter Schmerz zum Vorschein. »Er tat alles, damit man sich wohl fühlte, schloß sich aber nie einer Meinung an, die er nicht vertreten konnte.«
»Klingt nach einem ganz phantastischen Mann.«
»Ja, das war er. Octavia brach völlig zusammen, als er getötet wurde - auf der Krim, wissen Sie. Ich erinnere mich noch genau an den Tag, an dem uns die Nachricht erreichte. Ich dachte damals, sie würde sich nie wieder davon erholen…« Romola preßte die Lippen zusammen und blinzelte heftig, als ob unerwünschte Tränen ihr die Fassung zu rauben drohten.
»Vielleicht hat sie das auch nicht«, fügte sie kaum hörbar hinzu.
»Sie liebte ihn sehr. Ich glaube, das war keinem von uns vorher so klar.«
Nach und nach hatten sie das Tempo verlangsamt. Als sie sich des kalten Windes plötzlich wieder bewußt wurden, gingen sie automatisch schneller.
»Das tut mir aufrichtig leid«, sagte Monk und meinte es so.
Sie kamen an einem Kindermädchen vorbei, das einen Kinderwagen vor sich her schob. Es handelte sich um eine brandneue Erfindung, die den alten Klapperkisten manches voraus hatte und für einiges Aufsehen sorgte. Neben ihr hüpfte ein kleiner, selbstbewußter Junge mit einem Reifen auf und ab.
»Sie dachte nicht ein einziges Mal daran, wieder zu heiraten«, fuhr Romola von sich aus fort, nachdem sie dem Kinderwagen gebührende Beachtung geschenkt hatte. »Harrys Tod lag zwar erst zwei Jahre zurück, aber Sir Basil brachte das Thema zur Sprache. Schließlich war sie eine junge Frau und hatte keine Kinder. Niemand hätte etwas Anstößiges daran gefunden.«
Monk dachte an das tote Gesicht, das er an jenem Morgen gesehen hatte. Trotz der Blässe und Maskenhaftigkeit war ihm nicht schwergefallen, sich ihre Gefühle, Sehnsüchte und Träume vorzustellen. Es war das Gesicht einer leidenschaftlichen, einer willensstarken Frau gewesen.
»Sie war wohl sehr attraktiv?« Er formulierte den Satz wie eine Frage, obwohl er nicht den leisesten Zweifel dran hegte.
Romola zögerte, nicht aus Bosheit, sondern weil sie wirklich darüber nachdachte.
»Ja, sie sah gut aus«, bestätigte sie schließlich, »aber ihr größter Vorzug bestand in ihrer Lebendigkeit und ihrer absoluten Individualität. Nach Harrys Tod wurde sie ausgesprochen launisch und war plötzlich…«, sie mied Monks Blick, »… plötzlich sehr oft unpäßlich. Wenn es ihr gut ging, war sie ganz entzückend, aber wenn sie…« Sie brach erneut ab und suchte nach dem richtigen Wort. »Wenn sie sich miserabel fühlte, sprach sie nur wenig - und gab sich keinerlei Mühe, nett zu sein.«
Monk hatte eine flüchtige Vision, wie es sein mußte, wenn man eine alleinstehende Frau war, die die Leute bei Laune zu halten hatte, weil ihre Duldung, womöglich ihre finanzielle Versorgung davon abhing. Es bedeutete, Hunderte, nein Tausende kleine Zugeständnisse machen, die eigenen Vorstellungen und Ansichten zurückschrauben, um ja nichts zu tun, was
Weitere Kostenlose Bücher