Gefährliche Trauer
verrückt sein. Außerdem richten sich heftige Gefühlsausbrüche bei Dienstboten meist gegen ihresgleichen. Daß die Herrschaft sie nicht gerade freundlich behandelt, sind sie gewöhnt.« Hinter dem Humor in seinem Blick verbarg sich bitterer Ernst. »Die Kollegen sind's, über die sie in Rage geraten. Beim dienenden Volk herrscht eine strenge Hierarchie - es ist auch früher schon viel Blut wegen der Frage vergossen worden, wer welchen Job bekommt.«
Er fing Monks Gesichtsausdruck auf.
»Oh - ich spreche nicht von Mord. Ich meine bloß ein paar Schrammen und das gelegentliche Loch im Kopf«, erklärte er hastig. »Jedenfalls glaube ich, daß sich die Gefühle im Dienstbotenquartier um Dienstboten drehen.«
»Könnte Mrs. Haslett nicht etwas über einen von ihnen herausbekommen haben? Eine frühere Sünde wie Diebstahl oder einen moralischen Fehltritt zum Beispiel?« gab Monk zu bedenken. »Das würde denjenigen in eine ziemlich ungemütliche Lage bringen. Ohne Referenzen bekommt man keine neue Stellung - und einem Dienstboten ohne Job bleiben bloß die Ausbeutungsbetriebe oder die Straße.«
»Möglich wär's«, stimmte Evan zu. »Oder einer der Lakaien. Es gibt zwei: Harold und Percival. Beide machen einen völlig normalen Eindruck. Ich würde sagen, Percival ist der intelligentere und vielleicht der ehrgeizigere.«
»Verraten Sie mir auch, wonach ein Lakai streben könnte?« fragte Monk etwas gereizt.
»Nach dem Posten des Butlers, denke ich«, erwiderte Evan schwach lächelnd. »Machen Sie nicht so ein Gesicht, Sir. Butler zu sein bedeutet, eine angenehme, verantwortungsvolle und sehr angesehene Position zu haben. Man wohnt in eleganten Häusern, ißt und trinkt nur vom Feinsten. Ich hab schon Butler gesehen, die besseren Bordeaux getrunken haben als ihre Brötchengeber.«
»Wußten ihre Brötchengeber das?«
»Der Gaumen so manchen Brötchengebers kann einen Bordeaux nicht von gewöhnlichem Fusel unterscheiden.« Evan zuckte mit den Achseln. »Wie auch immer - ein Butler regiert in einer Art eigenem kleinen Königreich, das vielen ausgesprochen verlockend erscheint.«
Monk zog spöttisch die Brauen hoch. »Und wie sollte man diesem hochgesteckten Ziel näherkommen, indem man die Tochter des Hausherrn ersticht?«
»Gar nicht - es sei denn, sie wußte etwas, das einen Rausschmiß ohne Referenzen zur Folge gehabt hätte.«
Der Stichhaltigkeit dieses Arguments konnte sich auch Monk nicht entziehen.
»Wenn das so ist, sollten Sie hinfahren und soviel wie möglich in Erfahrung bringen. Ich werde mich noch einmal mit den Familienmitgliedern unterhalten, die meiner Ansicht nach leider wesentlich eher in Frage kommen. Ich werde mir jeden einzeln vorknöpfen, in sicherer Entfernung von Sir Basil.« Monks Gesicht wurde hart. »Beim letztenmal hat er den Ablauf dirigiert, als ob ich gar nicht anwesend wäre.«
»Er ist der Herr im Haus.« Evan stieß sich vom Fensterbrett ab. »Das dürfte Sie nicht überraschen.«
»Genau deshalb will ich nach Möglichkeit nicht in der Queen Anne Street mit ihnen sprechen«, erwiderte Monk schroff. »Ich fürchte, es wird den Rest der Woche dauern.«
Evan verdrehte kurz die Augen und verließ wortlos den Raum. Monk hörte, wie sich seine Schritte über die Treppe entfernten.
Er brauchte tatsächlich fast die ganze Woche. Gleich zu Anfang durfte er einen großen Erfolg verbuchen, als er nämlich schon beim ersten Versuch auf Romola Moidore stieß, die gemächlich durch den Green Park schlenderte. Sie spazierte über den Rasenstreifen parallel zur Constitution Row, den Blick auf die Baumwipfel jenseits des Buckingham Palace gerichtet. Der Tip stammte von Percival, dem Lakai. Er hatte Monk verraten, daß sie sich dort aufhalten würde, während Mr. Cyprian in seinem Klub, der in der Nähe des Piccadilly lag, lunchte.
Romola hatte sich im Park mit einer gewissen Mrs. Ketteridge verabredet, aber Monk erwischte sie, als sie noch allein war. Obwohl sie tristes Schwarz trug, wie es sich für eine Frau gehörte, deren Familie in Trauer war, sah sie unglaublich schick aus. In ihren bauschigen Rock waren Samtstreifen eingearbeitet, die Puffärmel mit schwarzer Seide eingefaßt; ein kleines Hütchen saß keß auf ihrem Hinterkopf, das Haar war auf hochmoderne Art über die Ohren gekämmt und im Nacken zu einem tiefsitzenden Knoten gebunden.
Sie war verblüfft und gar nicht froh, ihn zu sehen. Da es jedoch keine Möglichkeit gab, ihm aus dem Weg zu gehen, blieb sie stehen. Vielleicht
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