Gefaehrliche Verstrickung
es selbst nicht mehr geglaubt.
Es war verlockend, sich zu beeilen, endlich den Krampf in den Schultern und den Schmerz in den Armen loszuwerden und die letzten Meter in einem Stück zu überwinden. Ruhig und geduldig hing die schwarze Gestalt zwischen Himmel und Erde und ließ sich während der letzten Meter von ihrem Instinkt leiten.
Schwarze Turnschuhe glitten über das Geländer, schwangen zurück, fanden Halt und standen dann fest auf dem Boden. Niemand hörte sie lachen, ein kurzes, befriedigtes Lachen.
Jetzt, mit festem Boden unter den Füßen, war Zeit, einen Blick auf New York zu werfen. Es war eine großartige Stadt, eine beliebte Stadt, und oftmals ein Zuhause für jemanden, der bisher kein richtiges gefunden hatte. Hier gab es Glanz und Elend, und was der Stadt an Mitleid mangelte, machte sie durch ihre ungeahnten Möglichkeiten wett.
Der Central Park war ein Meer aus Farben, eine majestätische Landschaft, besonders aus dieser Höhe und um diese Jahreszeit betrachtet. Das Laub der Bäume schimmerte golden, bronzen und scharlachrot, triumphierte in einem letzten grandiosen Farbenspiel, bevor der Wind aus Kanada angeprescht kam und alles Gold mit sich fortriß.
Central Park West war eine ruhige Gegend, gekennzeichnet durch Portiers, Herrschaften mit Hunden an der Leine, Doktoren und altes Geld. Obwohl mitten in der Stadt gelegen, spielte sich das richtige, das wahre Leben jedoch nicht dort ab, sondern eine kurze Taxifahrt entfernt in einer anderen Welt.
Hinter den Bäumen, hinter dieser Oase reckten sich Gebäude in den Himmel, die höher und glänzender waren als diese eleganten, alten Apartmenthäuser. Dort lag - vielleicht - die Zukunft. Sicherlich aber die Gegenwart. Wie dunkle Schatten ragten sie vielversprechend in der Dunkelheit auf. Alles, was man kaufen und verkaufen, verschieben und verschachern konnte, wurde in diesen Gebäuden oder in den Straßen davor feilgeboten. Jedes dieser Objekte der Begierde oder des Luxus hatte seinen Preis. New York akzeptierte das und schämte sich dessen nicht.
Die Stadt döste noch, sammelte Kraft für den anbrechenden Tag, doch ihre pulsierende Energie war auch um diese Zeit überall spürbar. Hier war alles möglich, der große Durchbruch oder das absolutes Scheitern - und sämtliche Nuancen dazwischen. Einige Bewohner der Stadt, wie dieser Dieb, hatten schon die ganze Palette dieser Möglichkeiten erfahren.
Leise schlich die schwarze Gestalt zur Balkontür und kniete sich davor nieder. Nun muss te nur noch das Schloss , das wie jedes Schloss nur scheinbar Sicherheit verhieß, überwunden werden. Aus der dunklen Ledertasche kam ein kleines Werkzeugmäppchen zum Vorschein.
Es war ein solides Sicherheits schloss , doch eines, das dem Dieb vertraut war. Keine zwei Minuten verstrichen, bevor es den kundigen Händen nachgab. Nicht unbedingt eine Rekordzeit, doch schneller hätten es nur ganz wenige Spezialisten geschafft.
Als der Schnapper aufsprang, wurde das Werkzeug wieder ordentlich verstaut. Organisation, Beherrschung und Vorsicht waren unabdingbare Voraussetzungen für einen jeden Dieb, der nicht im Gefängnis landen wollte. Und dieser hier verspürte nicht das geringste Bedürfnis, durch vergitterte Fenster zu blicken. Es gab noch viel zuviel zu tun.
Doch alles zu seiner Zeit. Hinter dieser Tür warteten Brillanten, kalt wie Eis, und feuerrote Rubine. Juwelen waren das einzige Diebesgut, das zu stehlen sich lohnte. Sie besaßen Leben und Magie und Geschichte. Und, was vielleicht noch wichtiger war, ein gewisses Maß an Ehre. Selbst in der Dunkelheit blinkten, funkelten und lockten sie wie die Augen von Liebenden. Ein Gemälde, gleichwohl wunderschön, konnte nur aus der Entfernung betrachtet und bewundert werden. Bargeld war kalt, leblos und zweckmäßig. Juwelen hingegen wohnte fraglos eine gewisse Persönlichkeit inne.
Und für diesen Dieb war jede Beute etwas Persönliches.
Ohne einen Laut zu verursachen, huschten die Turnschuhe über den glänzenden Fußboden. Ein leichter, heimeliger Geruch nach Bohnerwachs lag in der Luft und vermischte sich mit dem würzigen Duft von Herbstlaub. Angeregt durch diesen Wohlgeruch hielt der Dieb einen Augenblick inne und nahm einen tiefen Atemzug. Aber nur einen kurzen Augenblick. In seiner großen Schultertasche befand sich eine leistungsstarke Taschenlampe, doch hier brauchte er sie nicht. Jeder Quadratzentimeter des Raumes war in seiner Erinnerung gespeichert. Drei Schritte, dann rechts. Sieben Schritte, dann
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