Gefaehrliche Verstrickung
Celeste hauchte ihr einen Kuss auf beide Wangen und zog sie dann, einem plötzlichen Impuls folgend, eng an sich. »Schlaf gut.«
Phoebe ging zur Treppe, hielt inne und warf noch einen Blick über die Schulter. Adrianne stand genau unter dem Porträt, das Phoebe Spring in der Blüte ihrer Jugend und Schönheit zeigte, unter der Kraft und dem Glanz von Sonne und Mond. Mit einem letzten Lächeln drehte sich Phoebe wieder um und ging allein hinauf.
»Noch einen Eierflip?« fragte Adrianne hastig. Bevor sie noch nach der Karaffe greifen konnte, griff Celeste nach ihrer Hand.
»Setz dich hin, Schatz. Vor mir muss t du nicht die Starke spielen.«
Es war ein herzzerreißender Anblick. Schicht für Schicht bröckelte der Panzer der Selbstbeherrschung von Adrianne ab. Zuerst bebten nur ihre Lippen, und ihre Augen wurden feucht. Doch dann schmolz ihre harterkämpfte Haltung binnen Augenblicken dahin. Adrianne ließ den Kopf in die Hände sinken und weinte ihre ganze Hoffnungslosigkeit aus sich heraus.
Schweigend saß Celeste neben ihr. Das Mädchen weint nicht genug, dachte sie. Es gibt Zeiten, da helfen Tränen mehr als aufmunternde Worte oder tröstende Umarmungen.
»Ich weiß nicht, warum ich plötzlich so heulen muss .«
»Weil es besser ist als Schreien.« Im ganzen Haus gab es keinen Tropfen Alkohol, nicht einmal medizinischen Alkohol. »Ich mach' dir einen Tee.«
Adrianne wischte sich die Tränen ab. »Nein, ich bin schon in Ordnung. Wirklich.« Sie lehnte sich zurück, um sich zu entspannen. Wie sie die Verkrampfungen in ihren Muskeln, ihrem Gehirn und ihrem Herzen lösen konnte, hatte sie sich selbst beigebracht. Das war eine Sache des Überlebens. »Ich fürchte, ich bin nicht gerade in Festtagsstimmung.«
»Vielleicht möchtest du mit einer guten Freundin reden?«
Mit geschlossenen Augen tastete Adrianne nach Celestes Hand. »Was würden wir nur ohne dich anfangen?«
»In letzter Zeit war ich dir doch keine große Hilfe, da habe ich meine ganze Zeit und Energie in das Stück gesteckt. Aber jetzt bin ich hier.«
»Es ist einfach so grauenvoll zu beobachten.« Adrianne ließ ihren Kopf auf die Rückenlehne sinken. Die Tränen hatten ihr Erleichterung verschafft, über deren Notwendigkeit sie sich gar nicht im klaren gewesen war. Es tat gut, so verdammt gut, den Druck los zu sein. »Ich kenne die Anzeichen. Sie dämmert wieder hinüber. Sie versucht, dagegen anzukämpfen. Es macht die Sache sogar noch schlimmer, zu wissen, wieviel Anstrengung sie das kostet. Seit Wochen kämpft sie nun schon gegen die Depression an und verliert.«
»Geht sie noch zu Dr. Schroeder?«
»Er möchte sie wieder in die Klinik einweisen.« Ungeduldig stand Adrianne von der Couch auf. Genug des Selbstmitleids. »Wir haben uns darauf geeinigt, bis nach Sylvester damit zu warten, da Mutter die Feiertage immer so viel bedeutet haben. Aber diesmal...« Ihr Blick fiel auf das Porträt. »Übermorgen fahre ich sie hin.«
»Es tut mir so leid, Addy.«
»Sie spricht dauernd von ihm.« An der Art, wie sich Adriannes Stimme veränderte, erkannte Celeste, dass sie von ihrem Vater sprach. »Zweimal habe ich sie letzte Woche weinen sehen. Über ihn. Die Tagschwester hat mir erzählt, dass Mutter sie fragte, wann er kommt. Sie wollte sich die Haare frisieren lassen, um hübsch für ihn auszusehen.«
Celeste verbiß sich einen Fluch. »Sie ist so verwirrt.«
Mit einem zynischen Lachen blickte Adrianne über ihre Schulter. »Verwirrt? Ja, sie ist verwirrt. Seit Jahren schon wird sie mit Medikamenten vollgepumpt, die sie daran hindern, abzusinken oder Höhenflüge zu unternehmen. Man hat sie festgebunden und durch Schläuche ernährt. Sie hat Stadien durchlaufen, da konnte sie sich nicht einmal alleine anziehen, und andere, da platzte sie vor Tatendrang. Warum? Warum ist sie verwirrt, Celeste? Wegen ihm. Alles nur wegen ihm. Eines Tages, das schwör' ich dir, wird er für alles bezahlen, was er ihr angetan hat.«
Die eiskalte Wut, die in Adriannes Augen aufgeblitzt war, ließ Celeste aufspringen. »Ich weiß, wie du dich fühlst. Nein, ich weiß es wirklich«, wiederholte sie, als Adrianne mutlos den Kopf schüttelte. »Ich liebe sie doch auch, und es tut mir weh, was sie durchmachen muss . Aber sich auf Abdu oder irgendeine Art von Rache zu konzentrieren, das ist nicht gut für dich. Und es wird dir auch nicht helfen.«
»Der Zweck heiligt die Mittel«, wiederholte Adrianne.
»Liebes, du machst mir Sorgen, wenn du so sprichst.« Obwohl
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