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Gefährliche Wahrheit - Rice, L: Gefährliche Wahrheit

Gefährliche Wahrheit - Rice, L: Gefährliche Wahrheit

Titel: Gefährliche Wahrheit - Rice, L: Gefährliche Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Marie Rice
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über die Wand, und Harold Feinstein drehte sich aufmerksam um.
    „Nehmen wir beispielsweise meine letzte Entdeckung.“ Er zeigte mit der freien Hand auf die Bilder. „Grace Larsen. Ein bemerkenswertes Auge für Details, erstaunliches technisches Können, perfekte Pinselstriche. Und die Radierungen – sehen Sie, wie sie das Chiaroscuro beherrscht? Wirklich bemerkenswert.“
    Der Künstler war eine Frau ? Drake konzentrierte sich auf die Gemälde. Mann, Frau, wer auch immer der Künstler war, diese Arbeiten waren außergewöhnlich. Und jetzt, wo er sich in der Galerie befand, konnte er sehen, dass eine Seitenwand, die von der Straße aus nicht zu sehen gewesen war, mit Radierungen und Aquarellen bedeckt war.
    Er blieb vor einem Ölgemälde stehen, dem Porträt einer alten Frau. Der Rücken gebeugt, die grauen Haare zu einem Knoten gerafft, das Gesicht von der Sonne gegerbt, die großen Hände von der schweren Arbeit rau und krumm, in ein billiges Baumwollkleid gekleidet. Sie sah aus, als würde sie jeden Moment aus dem Gemälde heraustreten, auf die Knie fallen und anfangen, den Boden zu schrubben.
    Und doch war sie wunderschön, weil die Künstlerin sie als schön ansah. Eine besondere Frau, der Inbegriff der arbeitenden Frau, die mit ihren Mühen die Welt zusammenhielt. Drake hatte Tausende dieser Frauen gesehen, wie sie rund um den Globus auf den Feldern schufteten und die Straßen von Moskau kehrten.
    Alles Leid und alle Kraft der menschlichen Rasse sah er da vor sich, in ihren abfallenden Schultern und müden Augen.
    Erstaunlich.
    Die Glocke über der Tür klingelte, als jemand die Galerie betrat.
    Feinstein richtete sich auf, und sein Lächeln wurde noch breiter. „Und hier ist die Künstlerin persönlich.“ Er sah zu Drake in seinen einfachen Klamotten. „Lassen Sie sich Zeit und genießen Sie die Bilder“, sagte er freundlich.
    Drake roch sie, ehe er sie sah. Ein frischer Duft nach Frühling und Sonne, kein Parfüm. Vollkommen fehl am Platz inmitten der Ausdünstungen Manhattans. Sein erster Gedanke war: Keine Frau kann die Erwartungen erfüllen, die dieser Duft weckt.
    „Hallo, Harold“, hörte er eine Frauenstimme hinter sich sagen. „Ich habe einige Tuschezeichnungen mitgebracht, die Sie sich vielleicht gerne ansehen möchten. Und ich habe das Küstenbild fertiggestellt. Bin extra die ganze Nacht aufgeblieben.“ Die Stimme war sanft, durch und durch weiblich, mit einem Lächeln darin.
    Sein zweiter Gedanke war: Keine Frau kann die Erwartungen erfüllen, die diese Stimme weckt. Die Stimme war lieblich, melodisch. Sie packte ihn wie der Ton einer Stimmgabel, hallte mit solcher Kraft in ihm nach, dass er sich tatsächlich auf das Gesagte konzentrieren musste.
    Drake wandte sich um – und erstarrte.
    Sein ganzer Körper erstarrte. Einen Herzschlag lang – oder zwei – war er vollkommen unfähig, sich zu rühren, bis er diese Lähmung durch pure Willenskraft abschütteln konnte.
    Irgendetwas, vielleicht ein primitiver Überlebensinstinkt tief in seiner DNA , brachte ihn dazu, sich ein Stück wegzudrehen, sodass sie ihm nicht direkt ins Gesicht sehen konnte, aber er verfügte über ein ausgezeichnetes peripheres Sehvermögen und beobachtete die Frau – Grace – aufmerksam dabei, wie sie ihre große Künstlermappe öffnete und damit begann, schwere Papierbögen herauszuziehen und sorgfältig auf einem großen Glastisch auszulegen. Dann holte sie etwas aus ihrer Handtasche, das wie eine ungefähr fünfundzwanzig Zentimeter breite Papierrolle aussah.
    Verdammt! Die Frau war … unglaublich. Mehr als schön. Schönheit war heutzutage gar nichts mehr. Schönheit, von der gewöhnlichsten Art, konnte man sich mit Leichtigkeit kaufen. Amerikaner konnten sich von allem das Beste leisten. Die jungen Mädchen wuchsen mit guter Ernährung, guten Zahnärzten, guten Schönheitschirurgen, guten Friseuren, guten Hautärzten auf. Sie schienen ohne Ausnahme gute Zähne, gesundes Haar und reine Haut zu haben. All das war nichts.
    Sie war nicht sehr groß, aber vollendet proportioniert: lange Beine, langer Hals, geschmeidige Finger. Sie bewegte sich leichtfüßig und sicher, eher mit der unbeschwerten Grazie einer Tänzerin als mit der Kraft einer Athletin. Ihr schulterlanges Haar wirkte, als ob es eben erst gewaschen worden wäre, aber nicht beim Friseur. Sie hatte es gewaschen und an der Luft trocknen lassen. Ihr Haar war alles andere als perfekt, bis auf seinen Glanz und seine Farbe: eine Mischung aus Kupfer,

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