Gefährlicher Fremder - Rice, L: Gefährlicher Fremder
Sanders hatte seinen Körper im Fitnessstudio gestählt, aber Jack, der über eine ganz andere Art von Kraft verfügte und sich mit diversen Kampfsportarten auskannte, war er in keinster Weise gewachsen. Jack hatte Sanders mit spielerischer Leichtigkeit überwältigt, und Caroline bezweifelte nicht, dass er mit ihm den Boden aufwischen könnte.
Es lag nach wie vor ein Schatten extremer Gewalttätigkeit über dem Raum – sichtbar in den schmalen Falten um Jacks Augen, in der weiß glühenden Wut in seinem Blick, in seiner Haltung. Caroline war so sicher, wie man nur sein konnte, dass Jack fähig war, Sanders zu töten. Er war vom Körperlichen her dazu in der Lage und würde nicht einmal Reue dabei empfinden.
Immerhin war er Soldat, und das war es nun mal, was Soldaten taten. Sie töteten ihre Feinde.
»Lass ihn los. Sofort, Jack, bitte«, flüsterte sie, aber es reichte. Jack löste ohne jede Vorwarnung den Griff, und Sanders geriet ins Torkeln, während er versuchte, das Gleichgewicht zu halten. Er rieb sich die Schulter und starrte erst Jack und dann Caroline böse an, als ob ihm bitteres Unrecht geschehen wäre. Sein Haar war durcheinander, und er schwitzte heftig.
»Du verdammter Mistkerl, das wirst du noch bereuen«, schwor Sanders, auch wenn seine Worte nur schwer zu verstehen waren. Ein Zeichen dafür, wie durcheinander er war. Normalerweise sprach Sanders überdeutlich, fast schon schleppend, doch jetzt schnappte er keuchend nach Luft, während die Worte nur so aus ihm herausströmten. »Ich bin Anwalt, du Arschloch, und du kannst mir glauben, ich werde deinen traurigen Arsch auf so viel Schmerzensgeld verklagen, dass du zehn Leben haben müsstest, um die Schulden jemals loszuwerden.«
Sobald Jack Sanders losgelassen hatte, hatte er sich Caroline zugewandt, ihr das Blut vom Mund gewischt und eine Haarsträhne hinters Ohr gestrichen. Doch bei Sanders Worten drehte er den Kopf und sah ihn an.
Er machte überhaupt nichts, sah ihn nur an. Caroline konnte seinen Gesichtsausdruck nicht sehen, aber wie auch immer er aussah, er jagte Sanders jedenfalls eine Heidenangst ein. Sein Gesicht hatte sich vor Wut puterrot verfärbt, aber als Jack ihn jetzt anstarrte, wurde er kreidebleich, ging auf Abstand und streckte abwehrend die Hände aus.
Caroline dachte darüber nach, dass Jack noch sehr viel mehr Gewalt ausgeübt hätte, wenn sie nicht da gewesen wäre. Er hatte es nicht nötig gehabt, Drohungen auszustoßen, weil alles an diesem großen, starken Körper eine einzige Drohung war, und zwar keine leere.
Fünf Sekunden nachdem Jack seinen Arm losgelassen hatte, schnappte Sanders sich seinen Hut und seinen Mantel und rannte so schnell davon, dass die Klingel über der Tür noch bimmelte, als er schon längst um die Ecke gebogen und nicht mehr zu sehen war.
Plötzlich verflüchtigte sich das ganze Adrenalin, das ihr Kampf mit Sanders und die Gewalt im Raum in ihr freigesetzt hatten, und sie blieb klein und schwach zurück. Sie zitterte am ganzen Leib und schwankte. In ihrem Inneren machte sich ein eisiges Gefühl breit, das ihr sämtliche Energie raubte. Dann sah sie nur noch Sterne vor Augen …
Eine Sekunde später saß sie in ihrem Sessel, eine starke, zarte Hand drückte auf ihren Nacken, bis sie den Kopf zwischen die Knie legte. Jacks Hand hielt ihn da einen Augenblick lang fest und ließ dann wieder los. »Am besten bleibst du eine Minute in dieser Stellung und atmest tief durch. Ich bin gleich wieder da.«
Sie atmete tief ein und aus und versuchte, an gar nichts zu denken, bis sie wieder seine Stimme vernahm. »Hier, Süße.« Er stellte eine dampfende Tasse Tee vor sie hin. »Trink aus, so schnell du kannst.«
Caroline nahm die Tasse und trank einen winzigen Schluck. Sie zuckte zusammen, als die Hitze ihren Mund erfüllte und sie gegen einen Zuckerschock ankämpfen musste. Sie sah zu ihm auf. »Wie viel Zucker hast du denn genommen? Da ist mehr Zucker als Tee drin.«
Er antwortete nicht sofort, sondern schob nur seine Hand unter ihre und hob sie an, sodass sie gezwungen war, einen weiteren Schluck von dem Gebräu zu trinken. »Du hattest einen kleinen Schock und darum brauchst du Wärme, Flüssigkeit und Zucker. Wenn du ein Soldat auf dem Schlachtfeld wärst, bekämst du allerdings keinen Tee mit Zucker, sondern Glucose intravenös. Ich weiß, das entspricht nicht unbedingt deinem Geschmack, aber trink aus. Danach fühlst du dich besser, vertrau mir.«
Sie vertraute ihm tatsächlich, instinktiv.
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