Gefährlicher Fremder - Rice, L: Gefährlicher Fremder
edlen, warmen Herzen war kein Mythos, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut. Stark, aber verwundbar. Charakterfest, aber doch zerbrechlich.
Und sie war der tapferste Mensch, den er kannte.
Wenn man ihn gefragt hätte, hätte Jack gesagt, dass er sich selbst für mutig hielt. Gott, er war Soldat! Er hatte schon mehr Feuergefechte hinter sich, als er zählen konnte. Wenn er in den Kampf zog, war er jedes Mal darauf vorbereitet zu sterben. Er schreckte vor nichts zurück, Mensch oder Tier.
Doch im Grunde genommen bedeutete das gar nichts. Als der Colonel erkrankt war, das war der Moment, in dem sein Mut auf die Probe gestellt wurde. Es waren drei absolut höllische Wochen gewesen. Er hatte die ganze Zeit im Krankenhaus verbracht und sich in jeder einzelnen Sekunde nur gewünscht, er könnte dort weg. Den Colonel sterben zu sehen, Stück für Stück, zu sehen, wie er immer schwächer wurde, Tag für Tag, das hatte seinen Mut bis zum Äußersten strapaziert.
Jack war jeden Abend nach Hause gegangen, in den Keller, und hatte eine Stunde lang den Punchingball bearbeitet, aber das hatte seine Verzweiflung nur minimal gemildert.
Am Ende konnte er den Colonel kaum noch ansehen. Er schämte sich dafür, aber er konnte es nicht ertragen, dieses ausgemergelte Gesicht zu sehen, nahezu blutleer und die Haut papierdünn. Die Schläuche, die Flüssigkeiten hinein- und hinausleiteten, und wie er nach Luft schnappte.
Wenn die Krankenschwestern kamen, um das Bett neu zu beziehen oder ihm seine Medikamente zu geben, nutzte Jack die Gelegenheit zu entkommen, wenn auch nur auf eine Tasse von etwas, das sie dort lächerlicherweise Kaffee nannten, in der Cafeteria. Jedes Mal wenn er zurückkam, stand er draußen vor dem Krankenzimmer des Colonels, die verschwitzten Hände flach auf die Tür gepresst, und brachte es nur mit Mühe fertig, sie zu öffnen. Manchmal brauchte er eine halbe Stunde, bis er endlich den Mut gefasst hatte, wieder hineinzugehen und seinem Adoptivvater beim Sterben zu helfen.
Es hatte ihn beinahe umgebracht, und es hatte drei Wochen gedauert.
Caroline hatte dasselbe für ihren Bruder getan, sechs verdammte Jahre lang, während sie gleichzeitig mit einer ungeheuren finanziellen Belastung fertig werden musste.
Sie verdiente die Goldene Ehrenmedaille des Kongresses.
Sie war eine Frau, wie es sie unter Millionen nur einmal gab.
Caroline konnte jederzeit etwas zustoßen. Sie konnte ihm jeden Augenblick genommen werden. Die Welt ist ein großer, kalter und grausamer Ort. Niemand wusste das besser als Jack. Niemand wusste besser als er, wie brutal und schonungslos das Leben sein konnte. Nur eine Bewegung der reptilienartigen Hand des Schicksals und Caroline wäre vom Angesicht der Erde verschwunden, zerschmettert und für alle Zeit für ihn verloren. Die ganze Güte und Schönheit in ihr konnten so schnell verschwinden, wie es dauerte, eine Kerze zu löschen.
Diese Frau war unglaublich kostbar. Ein Licht in der Dunkelheit. Eine Gnade inmitten von Kummer und Leid.
In diesem Moment wurde Jack klar, mit einer Gewissheit, so stark wie Blut und so fest wie die Knochen der Erde, dass er Caroline sein Herz geschenkt hatte und dass es seine Mission in diesem Leben war, dafür zu sorgen, dass sie in Sicherheit und glücklich war. Er wollte ein Lächeln auf ihr Gesicht zaubern und die zarte Röte auf ihre Wangen zurückholen.
Solange er lebte, würde er dafür sorgen, dass ihr kein Leid zustieß, wenn er imstande war, das zu verhindern. Und wenn sein Wunsch, sie zu beschützen, schon stark war, so wollte er noch mehr, dass sie ganz und gar sie selbst war, unverfälscht. Nichts konnte aus ihr wieder das sorglose, privilegierte Mädchen machen, das sie einmal gewesen war, aber, bei Gott, er wollte die Frau, die er an diesem Wochenende flüchtig zu sehen bekommen hatte. Charmant, gutmütig, sich ihrer Schönheit bewusst, ohne sich von ihr vereinnahmen zu lassen, belesen, mit Sinn für Humor und dabei nicht zimperlich. Diese Frau, das war Caroline. Caroline in ihrer reinsten Form, wenn das Leben sie nicht mit einem großen Knüppel zu Boden drückte.
Jack konnte die Zeit nicht zurückdrehen und den heutigen Tag ungeschehen machen, aber er würde ihr am Ende dieses Tages größtes Vergnügen schenken können.
»Komm«, sagte er plötzlich und stand auf.
Sie sah verwirrt zu, wie Jack ihr zwei saubere Weingläser und die halb leere Flasche des exzellenten Weines, den sie zum Abendessen getrunken hatten, in die Hände
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