Gefährlicher Fremder - Rice, L: Gefährlicher Fremder
richtigen Worte zu finden. Es war absolut möglich, dass Worte nicht seine Sache waren. Immerhin war er Soldat.
Als er schließlich antwortete, war seine tiefe Stimme sehr ruhig. »Mein Vater war sein ganzes Leben lang Soldat gewesen. Als er aus der Armee ausschied, gründete er eine Firma, in der er seine besonderen Fähigkeiten nutzen konnte. Ich habe meine Zeit in der Army geliebt, aber ich weiß jetzt, dass ich in gewisser Hinsicht zum Militär gegangen bin, um ihm zu gefallen. Als er mich in der Firma brauchte, habe ich den Dienst quittiert, um ihm zu helfen. Das hab ich gern getan. Wenn er noch am Leben wäre, wäre ich immer noch in Afghanistan, immer noch bei der Firma. Aber nachdem er gestorben war, ist mir klar geworden …« Er verstummte und suchte nach den richtigen Worten. »Mir ist klar geworden, dass die Firma sein Traum war. Nicht meiner. Ich habe einen anderen Traum, einen anderen Plan für mein Leben. Und sosehr ich ihn auch vermisse, hat mir der Tod meines Vaters doch zugleich auch die Freiheit geschenkt, zu versuchen, ihn in die Tat umzusetzen.«
Danach herrschte Stille in dem großen Raum. Hinter einem Bogen befand sich das Wohnzimmer, in dem sie den Kamin angezündet hatte. Das Feuer prasselte und knisterte.
Das Schweigen war ihm nicht unangenehm. Caroline gefiel das. »Dann erzählen Sie doch mal – was ist das für ein Traum?«
Er zögerte. »Ich verfüge über … einige besondere Fähigkeiten. Manche verdanke ich der Army, mit anderen bin ich schon auf die Welt gekommen. Sie waren für meinen Vater sehr nützlich, und ich war froh, sie ihm zur Verfügung stellen zu können und den Klienten der Firma. Aber jetzt ist er nicht mehr da. Ich denke, ich möchte meine Fähigkeiten für eine andere Art von Menschen einsetzen. Die Art von Menschen, die es sich nicht leisten können, zu einer Sicherheitsfirma zu gehen und dafür zu bezahlen, dass die ihre Probleme löst.« Er biss die Zähne zusammen und seine ausgeprägten Kiefermuskeln traten unter der dunklen Haut hervor. »Sicherheitsfirmen beschützen die Art von Menschen, die bereits über die Mittel verfügen, sich Schutz zu verschaffen. Sie sind für gewöhnlich reich oder haben zumindest genug Geld, um sich den Schutz einer ganzen Firma zu erkaufen. Viele von ihnen besitzen eigene Firmen und deren Angestellte stehen zwischen ihnen und der Gefahr. Sich zusätzlichen Personenschutz mieten zu können, ist sozusagen nur das Sahnehäubchen und manchmal, offen gestanden, auch ein Statussymbol. Ich glaube, ich würde eigentlich viel lieber andere Menschen unterrichten, die es wirklich nötig haben, sich selbst zu verteidigen. Menschen, die die nötigen Fähigkeiten brauchen, sich aber keine professionelle Unterstützung leisten können.«
»Und das möchten Sie hier machen? Eine … was? Eine Selbstverteidigungsschule aufbauen? Hier in Summerville?«
Er nickte. »Ich wollte neu anfangen. Ich … bin einmal mit meinem Vater hier durchgekommen, als Kind, und es hat mir hier gefallen. Ich hatte einfach immer den Hintergedanken, dass ich mich gerne hier niederlassen würde.«
»Es gibt schlimmere Orte.« Ein heftiger Windstoß ließ die Fensterscheiben erzittern, und Caroline lächelte schief. »Außerdem haben wir so ein wunderbar mildes Klima hier.«
Wieder lächelte er fast. »Ich muss gestehen, es war nicht vorgesehen, dass ich mitten in einem Blizzard hier eintreffe.«
»Darauf könnte ich wetten. Summerville ist eine nette Stadt, aber ich muss Sie warnen – die Winter können wirklich hart sein. Und für dieses Jahr haben die Meteorologen einen besonders langen und kalten Winter vorhergesagt. Klingt das abschreckend für Sie?« Das war nicht bloß eine einfache Frage. Es wäre bedauerlich, wenn er wegginge. Er würde einen sehr netten Untermieter abgeben, und das regelmäßige Einkommen wäre ihr mehr als willkommen.
Er erstarrte, als ob sie etwas besonders Wichtiges gesagt hätte. »Nein, Ma’am«, sagte er schließlich sanft, ohne den Blick von ihren Augen abzuwenden. »Ein bisschen kaltes Wetter kann mich nicht abschrecken, glauben Sie mir. Ich denke schon sehr lange über all das nach.«
Caroline schwieg. Sie sah ihm zu, wie er den Kopf senkte und den Rest seiner dritten Portion Bratkartoffeln aufaß. Langsam und gleichmäßig hatte er eine erstaunliche Menge Nahrung verdrückt. Offensichtlich hatte er die Wahrheit gesagt: Er hatte seit Monaten keine anständige Mahlzeit mehr zu sich genommen.
»Das Essen war wirklich
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