Gefährlicher Fremder - Rice, L: Gefährlicher Fremder
und ein funktionierendes Gehirn hatte, wusste, dass die Sowjetunion am Ende war. Nur die CIA hatte keine Ahnung gehabt – die CIA hatte aber auch den IQ eines Toastbrots –, doch sonst wusste es jeder, der östlich der Elbe stationiert war.
Drake war zu der Zeit der größte Waffenhändler der Welt gewesen. Er lenkte seine Geschäfte aus einem unauffälligen Hochhaus in Odessa heraus und belieferte die Mudschaheddin in Afghanistan so schnell mit Waffen, wie er sie nur ins Land schaffen konnte. Deaver war damals ein junger Soldat bei den Special Forces gewesen und hatte den Befehl erhalten, Drake mit Geld zu versorgen, und zwar in Aktenkoffern, die jeweils eine halbe Million Dollar enthielten. Er hatte sich einmal ausgerechnet, dass die US -Regierung Drake wenigstens zehn Millionen hatte zukommen lassen.
Aber sie erhielt auch etwas für ihr Geld. Drake war bekannt für seine ausgezeichnete Arbeit. Auf seiner Gehaltsliste standen vier ehemalige russische Soldaten, die bei der Armee Waffenmeister gewesen waren, und wenn man von Drake Waffen kaufte, bekam man sie genau in dem Zustand, für den man bezahlt hatte: funktionstüchtig, sauber, geölt und bereit zum Einsatz.
Drakes Karriere hatte am 11. September 2001 geendet. Genau genommen am 10. September, als er erfuhr, dass Schah Achmed Masud getötet worden war.
Deaver war an jenem Tag in Odessa gewesen, an dem die Kurzwellensender die Nachricht verkündeten, und er hatte dabei zugesehen, wie Drake auf der Stelle damit begonnen hatte, seine Sachen zu packen – ruhig und emotionslos.
»Schlechte Dinge kommen«, war seine einzige Antwort gewesen, als Deaver ihn gefragt hatte, was los sei. »Das Geschäft ist vorbei.«
Einen Tag später wurde Deaver klar, dass Drake recht hatte. Und Drake tat das Richtige, als er aufhörte, die Taliban mit Waffen zu versorgen, weil ihn sonst das volle Gewicht der US -Regierung getroffen und zermalmt hätte. Drake war schlau, er wusste, wann es sich lohnte zu kämpfen und wann nicht. Einen Monat später hatte er sich im belgischen Ostende niedergelassen, von wo aus er Ashad Fatoy, den kongolesischen Rebellenführer, mit Waffen versorgte, und wo ihm Deaver ein weiteres Mal über den Weg lief. Wenn es sich ergab, schanzte er Drake den einen oder anderen Auftrag zu, und einmal warnte er ihn sogar vor den Agenten der Staatsveiligheid, der belgischen Staatssicherheit, die ihm dicht auf den Fersen waren.
Seit dem 10. September hatte Deaver Drake im Auge behalten, da er wusste, dass dieser immer wieder auf den Füßen landen würde und dass er ihn eines Tages einmal würde brauchen können. Dieser Tag war jetzt gekommen.
»Hier«, sagte er zum Taxifahrer, schob ihm die Summe zu, die der Taxameter zeigte, plus ein Fünf-Dollar-Trinkgeld, und stieg aus. Es war früher Nachmittag, aber der Himmel war so düster, dass es genauso gut Abend hätte sein können. Innerhalb einer Minute war Deaver aus dem Blick des Taxifahrers verschwunden.
Fünf Minuten und zwei Blocks später klingelte er an einem anonymen Hochhaus, das sich von dem, das Drake in Odessa bewohnt hatte, nur unwesentlich unterschied.
Es spielte keine Rolle, welcher Name auf dem Schild stand, er wusste, welchen Knopf er drücken musste: den obersten. Drake hatte auf den unteren Stockwerken kleine Sprengfallen installiert, die jeden Sturmtrupp auf seinem Weg nach oben aufhalten würden, und das Dach war ein Hubschrauberlandeplatz. Das war seine übliche Verfahrensweise, und die hatte er beibehalten, von Odessa über Ostende und Lagos bis hin nach Brighton Beach.
Eine Sicherheitskamera schwenkte auf Deaver, als er auf die Klingel drückte, und er hob in einem ironischen Gruß zwei Finger an seine Stirn. Drakes Sicherheitsmaßnahmen umfassten drei verschiedene Ebenen, und er brauchte eine volle Viertelstunde, bis er die peinlich genaue Untersuchung durch zwei sehr große, sehr effiziente Wachen in voller Kampfausrüstung vor der unscheinbaren Tür im zehnten Stock hinter sich gebracht hatte. Nachdem er rasch und unpersönlich abgetastet worden war, wurde Deaver in ein großes Foyer geführt, wo er einige Minuten warten musste. Er war sicher, dass er während dieser Zeit einem gründlichen Ganzkörperscan unterzogen wurde.
Drake hatte eine Menge Feinde, und es hatte wenigstens fünf Mordanschläge auf ihn gegeben, von denen Deaver wusste. Keiner davon war auch nur annähernd erfolgreich gewesen. Drake war ein Mann, den man nicht so leicht tötete.
Deaver machten seine
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