Gefaehrlicher Liebhaber - Jagd auf Jack the Ripper
bestieg eine Droschke und fuhr zum Präsidium. Mit jedem Atemzug, dem er sich seiner Arbeitsstelle näherte, verblasste die Glückseligkeit. Bis er in seinem Büro saß, hatte sich diese nicht nur verflüchtigt, sie hatte sich in ihr schieres Gegenteil verkehrt.
Was er mit O’Malley getan hatte, die Gier, die Lüsternheit, denen sie nachgegeben, ja, gefrönt hatten, erschien ihm plötzlich als etwas zutiefst Abstoßendes. Als ein Verrat an den Traditionen, denen er sich verbunden fühlte, auch wenn er sie mit seinem Wunsch, Polizist zu werden, bis an die Grenzen der Belastbarkeit gedehnt hatte.
Und nicht nur diesen Traditionen hatte er Hohn gesprochen – auch seinem Dienst selbst. Denn wie sollte er ein guter Polizist sein, wenn er mit einem der Hauptverdächtigen ins Bett ging? Wie weit war es noch bis zum Verrat?
Entsetzt über sich stand er auf und trat ans Fenster. Er war erpressbar geworden. O’Malley brauchte bloß zu drohen, zu einem seiner Vorgesetzten zu gehen und zu erzählen, was sie im Bett miteinander taten – dann wäre er erledigt. Sein Ruf wäre auf alle Zeiten vernichtet. Was, wenn der Bandit Forderungen stellte: „Wenn ich nicht reden soll, lass meinen Namen aus den Akten verschwinden!“
St. John wurde schlecht. Sein Magen krampfte sich zusammen und er schaffte es gerade noch zum Mülleimer, wo er sich laut würgend übergab.
„Herr im Himmel, St. John! Was machen Sie denn da?“ Walker kam mit schnellen Schritten zu ihm geeilt und führte ihn zu seinem Schreibtischstuhl.
„Haben Sie etwas Falsches gegessen? Sie sehen ja fürchterlich aus!“ St. John zitterte am ganzen Leib. Seine Knie versagten den Dienst und seine Hände flatterten.
„Bleiben Sie ganz ruhig. Soll ich einen Arzt rufen?“
St. John trank von dem Wasser, das Walker ihm hinhielt, und schüttelte den Kopf.
„Es ist nichts. Ich bin nur etwas überanstrengt, fürchte ich.“
„Wo waren Sie denn den ganzen Tag? Bei O’Malley?“
St. John bemerkte, dass er seine Koordinaten verloren hatte.
Er wusste nicht, ob Walker ihn aufzog, ihm drohen wollte, oder nur eine normale Frage stellte. Er konnte nicht mehr klar denken. Alles verwirrte sich und er wollte weinen vor Sehnsucht nach Kieran. Nicht zu wissen, wann er ihn wiedersehen würde, machte ihn verrückt. Gleichzeitig vernichtete ihn die Vorstellung beinahe, ihm gegenüberzutreten. Nichts stimmte mehr in seinem Leben. Er verlor den Boden unter den Füßen.
„Ich denke, ich sollte nach Hause gehen und mich ein paar Stunden hinlegen“, sagte er matt und der ältere Kollege nickte.
„Sie haben sich übernommen, junger Freund. Eindeutig. Ruhen Sie sich aus und wenn Sie so weit sind, kommen sie wieder. Einverstanden? Auch Sie werden noch lernen, dass es nichts bringt, wenn man sich zu viel abverlangt. Dann plustert sich der Nebel im Kopf nur weiter auf …“
Er schenkte St. John ein freundliches Blinzeln.
Die nächstbeste Droschke bestieg er und ließ sich durch die Nacht nach Hause zum Eaton Place fahren. Im ihm gegenüberliegenden, düsteren Eck des Kutscheninneren wäre Platz für Kieran gewesen. Oder hier – gleich neben ihm. Warum musste ausgerechnet ihm so etwas passieren? Warum? Er wusste, er war ein guter Polizist. Ein sehr guter sogar. Und nur er wusste, welch harte Kämpfe er bis hierher hatte durchstehen müssen.
Natürlich hatten sie großartigen Sex gehabt. Nie zuvor hatte er sich einem Menschen so nahe gefühlt, aber woher wollte er wissen, dass Kieran seine Naivität in diesen Dingen nicht schamlos ausnutzte?
Wortlos ging er an Berner, dem Butler vorbei direkt ins Empfangszimmer, wo er sich einen großen Whisky einschenkte und in zwei Zügen leerte.
Das große Haus war vollkommen still. Müde blickte er aus dem hohen Fenster hinaus in die Lichter des Empire. Irgendwo da draußen bist du, dachte er matt. Und du hältst uns alle zum Narren. Alle!
Der Butler überraschte ihn ein wenig, wenn er sich auch bemühte, leise einzutreten.
„Was wünschen Sie zu speisen, Sir?“, fragte er mit gewöhnt servilem Ton, während das Dienstmädchen daran ging, die hohen Vorhänge zuzuziehen.
„Nur etwas Kaltes vom Tablett.“
„Wo darf ich servieren, Sir?“
„In der Bibliothek, Berner.“
Der Butler machte eine kleine Verbeugung und bedeutete dem Dienstmädchen, sie solle sich beeilen.
Er hatte keinen Hunger. Zu viele Bilder schossen ohne Unterlass durch seinen Kopf, wie eine Grammofonplatte, die hängen geblieben war. Kierans nackter Körper, die
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