Gefährlicher Verführer
und
sogar einen Tiger im Zoo mit ihren Gedanken zu kontrollieren.
Tempest stand still da und
beobachtete das Raubtier. Sie verfügte über unendliche Geduld. Ihre Gabe war
ihr von Gott verliehen worden, und sie glaubte fest daran. Mochten andere
Menschen sie auch als Missgeburt bezeichnen, sie selbst wusste, dass sie einem
Tier in einer Notlage wirklich helfen konnte. Ruhig redete sie in Bildern auf
die Löwin ein, suggerierte ihr, wie sich ihre schmerzfreie Pfote anfühlen
würde. Mit diesen Bildern überflutete sie den Geist der Raubkatze, sodass diese
sich nicht mehr konzentrieren konnte.
Die meisten Katzen waren von
Natur aus neugierig, und selbst diese große Berglöwin bildete keine Ausnahme.
Zwar knurrte sie angriffslustig, doch der Instinkt, Tempest zu töten, wurde
allmählich zurückgedrängt. Die Löwin wollte sich von dem schrecklichen Dorn
befreien, damit sie keine Schmerzen mehr hatte. Sofort nutzte Tempest diesen
Vorteil und verstärkte die positiven Eindrücke. Allmählich entspannte sich die
Berglöwin, und ihre gelben Augen wirkten nicht mehr so starr und unbarmherzig.
Sie blinzelte.
Tempest holte tief Atem und
ging langsam auf die Raubkatze zu, während sie die verletzte Pfote nicht aus
den Augen ließ. Sie war stark geschwollen und vereitert. »Armes Mädchen«, murmelte
Tempest leise. »Wir müssen den Dorn aus deiner Pfote entfernen.« Immer wieder
sandte sie der Berglöwin beruhigende Bilder, wie sie ihr half und sie von den
Schmerzen befreite. »Es könnte wehtun, also sollten wir uns vielleicht gleich
darauf einigen, dass du mich nicht plötzlich anfällst und zu fressen versuchst.
Es wäre viel besser für dich, wenn du mich einfach deine Pfote behandeln
ließest.« Sie hatte sich der Raubkatze so weit genähert, dass sie das Tier
berühren konnte.
Die Wunde sah schlimmer als
befürchtet aus. Die Entzündung war bereits weit fortgeschritten.
Möglicherweise konnte sie dem armen Tier überhaupt nicht helfen. Tempest
seufzte. Sie würde nicht aufgeben. Es gab immerhin noch eine Chance, dass sie
den Dorn entfernen konnte, der so tief in die Pfote eingedrungen war. Dann
würde das Tier vielleicht überleben. Die Berglöwin schien sich beruhigt zu
haben. Sie war neugierig geworden, weil Tempest sich mit ihr verständigen konnte
und um ihre Schmerzen und den Hunger wusste.
Vorsichtig änderte Tempest
ihre Taktik. Wenn sie den Dorn entfernte, würde die Berglöwin schreckliche
Schmerzen haben und sich vermutlich auf sie stürzen. Sie verstärkte die Neugier
des Tieres. »Unglücklicherweise bin ich das einzige Lebewesen in deiner Nähe.
Findest du mich nicht sehr interessant? Du bist noch nicht vielen Menschen wie
mir begegnet, stimmts ?« Tempest hielt ihre Stimme ruhig und sanft. Langsam
beugte sie sich vor, um die Wunde zu untersuchen. Da sie dazu den Blick von den
Augen der Katze abwenden musste, verließ sie sich in diesem Augenblick nur auf
ihr Glück.
Furcht. Schreckliche, allumfassende
Furcht. Es gab kein anderes Wort, um seine Gefühle zu beschreiben. Darius'
Herz klopfte so schnell und heftig, dass er befürchten musste, es würde seinen
Brustkorb sprengen. Als er auf die Jagd gegangen war, hatte Tempest friedlich
auf einem Felsen am Wasserfall gesessen. Warum hatte er sich nur darauf
verlassen, dass sie dort auch sitzen bleiben würde? Trotz aller Sorge musste
Darius jedoch feststellen, dass er nicht wirklich damit gerechnet hatte. Dazu
kannte er sie zu gut. Sie geriet immer in Schwierigkeiten, schien geradezu
danach zu suchen.
Zorn. Unbändig und finster. Eine
Welle alles auslöschender Wut, die ihn mit sich zu reißen drohte. Darius
kämpfte dagegen an und blieb still stehen, um mit der Nacht zu verschmelzen.
Er ließ die telepathische Verbindung zu der Berglöwin nicht abreißen, um selbst
das kleinste Anzeichen der Aggression zu erkennen. Er wusste, wie schnell
Berglöwen zuschlagen konnten. Und die Verletzung machte die Raubkatze nur noch
gefährlicher. Selbst aus der Entfernung hätte Darius das Tier töten können.
Auch hätte er die Kontrolle über den Geist des Tieres übernehmen können, damit
es friedlich dalag, während Tempest ihm half. Es gab mehrere Möglichkeiten.
Außerdem vermochte Darius sich mit so großer Geschwindigkeit zu bewegen, dass
er Tempest erreichen und sie außer Gefahr bringen könnte, ehe die Berglöwin
ihn überhaupt bemerkte. Doch Darius tat nichts dergleichen. Stattdessen
lauschte er ihrer Stimme. Sanft. Beruhigend. Ihr Tonfall erinnerte ihn an
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