Gefährlicher Verführer
durchsetzen muss«,
entgegnete sie entrüstet. Doch sie fügte sich, weil sie nicht riskieren wollte,
dass er ihr den Befehl dazu gab. Gewisse Dinge vermochte sie einfach nicht zu
akzeptieren - und erzwungener Gehorsam gehörte auf jeden Fall dazu.
In der Gestalt der Eule
verfügte Darius über schier unglaubliche Kräfte. Als er sich mit anmutigen,
aber kraftvollen Flügelschlägen in die Luft erhob, hätte der plötzliche
Windstoß Tempest beinahe das Gleichgewicht verlieren lassen. Immer höher
stiegen sie hinauf. Ihr stockte der Atem. Die Federn der Eule fühlten sich
unter ihren Händen weich an, während Darius sie in vollkommener Stille durch
die Luft trug. Ihr war, als wäre sie in einer anderen Welt.
Tempest blickte hinunter auf
die Baumkronen, schloss dann aber schnell die Augen, als die Eule noch höher in
den Himmel hinaufstieg. Erst nach einer Weile erinnerte sie sich daran, dass
sie hin und wieder Luft holen musste. Doch nach einigen tiefen Atemzügen hatte
sich Tempest wieder beruhigt, und sie war in der Lage, sich staunend umzusehen.
»Es ist schon in Ordnung, Rusti«, sprach sie sich laut Mut zu. »Nichts von all
dem ist real, das weißt du genau. Es ist nur ein seltsamer Traum, den er dir in
den Kopf gesetzt hat. Weiter nichts. Außerdem wünschen sich schließlich alle
Menschen, fliegen zu können. Also genieße einfach die Halluzination.«
Der Wind trug ihre
Worte so schnell davon, dass Tempest sie selbst nicht hören konnte. Du hältst es also immer noch
für nötig, mit dir selbst zu reden. Ich bin doch hier. Du kannst mit mir
sprechen.
Dich gibt es nicht wirklich. Ich habe dich erfunden.
Darius' spöttisches Lachen
hallte in Tempests Gedanken wider und erfüllte ihren Körper mit Wärme.
Warum glaubst du das?, fragte er.
Weil kein wirklich
existierender Mann solche Augen hätte wie du. Oder so einen Mund. Und niemand
könnte wohl so arrogant und selbstsicher sein wie du.
Ich habe allen Grund,
selbstbewusst zu sein, Kleines, gab Darius mit seinem typisch männlichen Spott
zurück.
Hat man dich je gerupft P Es war die beste
Drohung, die Tempest in der Eile einfiel. Es ist bestimmt ausgesprochen
schmerzhaft, könnte ich mir vorstellen.
Darius lachte so fröhlich,
dass auch Tempest lächeln musste. Er lachte nicht oft, das wusste sie.
Tatsächlich war er der ernsthafteste Mann, dem sie je begegnet war, und doch
schien er in letzter Zeit seinen Sinn für Humor zu entdecken. Jedenfalls in
ihrer Gesellschaft.
Mit der Zeit stellte Tempest
fest, dass sie es genoss, durch die Luft zu fliegen. Die Nacht hüllte sie ein,
die Sterne funkelten am Himmel. Das Mondlicht hob die Umrisse der Landschaft
unter ihnen hervor. Außerdem hatte sich Tempest noch nie so frei gefühlt. Sie
entspannte sich, wurde immer leichter, bis sie schließlich ein Teil der Eule,
ein Teil von Darius zu sein schien.
Darius legte mit kräftigen
Flügelschlägen hunderte von Kilometern zurück. Die Nachtluft strich kühl über
Tempests Gesicht, und der Sternenhimmel schien die perfekte Kulisse für das
größte Ereignis ihres Lebens zu sein. Dieser Flug durch die Nacht war ein
kostbares Geschenk. Darius. Sie flüsterte seinen Namen in die nächtliche Weite und schloss ihn in
ihr Herz. Er verkörperte pure Magie. Einen Augenblick lang gestattete sich
Tempest, davon zu träumen, dass sie tatsächlich ewig zusammen sein würden,
dass Darius wirklich ihr Märchenprinz war.
Darius hielt die
telepathische Verbindung zu ihr aufrecht. Es schien ihm sicherer zu sein. Er
wusste, dass Tempest sich binnen Sekunden einreden konnte, die Beziehung zu ihm
dringend abbrechen zu müssen. Im Körper der Eule lächelte er geheimnisvoll. Sie
ahnte nichts von seinen wahren Fähigkeiten. Aber so war seine Tempest. Sie
akzeptierte seine Natur, seine speziellen Eigenschaften, zog es jedoch vor,
einige Dinge nicht zu genau zu hinterfragen. Es kam ihr nicht in den Sinn, dass
er es ernst meinte, wenn er ihr erklärte, sie niemals gehen zu lassen. Tempest
vermochte seine tiefe Sehnsucht nach ihr einfach nicht zu erfassen.
Unter ihnen tauchten die
Weinberge von Napa Valley auf. Tempest konnte die Berge erkennen, die sich
majestätisch über dem fruchtbaren Tal erhoben. In der Ferne schimmerte ein See
im Mondlicht. Die Eule schien auf diesen See zuzusteuern, zog immer tiefere
Kreise und landete schließlich in einem dichten Pinienhain. Im Schatten der
Bäume war es dunkler als am klaren Nachthimmel, doch Tempest konnte alles viel
deutlicher erkennen als
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