Gefährlicher Verführer
Jedenfalls war
es ihr gelungen, auf der Hauptstraße zu bleiben, bis sie an eine verwirrende
Abzweigung geraten war. Tempest war nach rechts um eine Kurve gefahren, in der
Hoffnung, dass sie nicht die linke Abzweigung hätte nehmen müssen. Müde rieb
sie sich die Augen.
Tempest öffnete das
Seitenfenster, um sich von der kalten Luft ein wenig erfrischen zu lassen, erschrak
jedoch plötzlich, als Nebelschwaden durch das offene Fenster in den Bus
strömten. Julian Savage nahm neben ihr menschliche Gestalt an und ging sofort
auf Darius zu. Er sah besorgt aus. Tempest lehnte sich auf dem Fahrersitz
zurück, zu müde, um Julian Fragen zu stellen.
»Wie lange ist er schon in
diesem Zustand?«, erkundigte sich Julian.
»Er wurde angeschossen«,
antwortete Tempest, ohne die Augen zu öffnen. »Ich bat ihn, sich schlafen zu
legen, während ich nach euch suche.«
Julian beugte sich über Darius,
öffnete eine Stelle an seinem Handgelenk und presste die Wunde an Darius'
Mund. »Nimm, was ich dir aus freien Stücken gebe, damit du für dich und deine
Gefährten weiterlebst.« Er ging unerwartet sanft mit Darius um, und seine
Stimme war eine Mischung aus Sorge und hypnotischer Beschwörung.
Zum ersten Mal seit Stunden
bewegte sich Darius. Er hob die Hand, umfasste Julians Handgelenk und hielt es
an seine Lippen. Julian stimmte einen karpatianischen Heilgesang an, und durch
die einzigartige telepathische Verbindung der Karpatianer fielen die anderen
selbst aus einiger Entfernung mit ein. Sie alle spürten Darius' Schwäche, die
Schmerzen, die er ertragen musste. Und sie alle wussten, dass er sich nicht in
der Erde zur Ruhe legen würde, obwohl es unbedingt notwendig war.
Langsam erhob sich Tempest
vom Fahrersitz und stolperte durch den Bus, bis sie sich schließlich neben
Darius auf die Knie sinken ließ. »Wird er wieder gesund, Julian?«
»Er ist schwach. Selbst als
er in den Kampf verwickelt wurde, verfügte er nicht über alle seine Kräfte. Und
dann hat er viel Energie darauf verwandt, den Sturm zu lenken und den Bus vor
den Sterblichen zu verbergen.« Julian sah sehr besorgt aus. »Er muss in der
Erde ruhen, damit seine Verletzungen ausheilen können. Er braucht den tiefen
Schlaf des karpatianischen Volkes.«
Darius hob den Kopf, während
Julians heilkräftiges Blut in seine Adern strömte. »Sie hat sich wieder
verirrt, nicht wahr?«
»Das stimmt nicht«,
protestierte Tempest schläfrig. »Ich habe nur nach einem guten Rastplatz
gesucht.«
Julian zuckte die Schultern.
»Sie hat vorhin die falsche Abzweigung genommen. Ich werde jetzt das Steuer
übernehmen und euch zu den anderen bringen. Du musst schlafen, Darius.«
»Ich muss Tempest
beschützen.« Darius klang unerschütterlich. Er war daran gewöhnt, Befehle zu
geben, die grundsätzlich befolgt wurden.
Tempest schmiegte ihren Kopf
an sein Bein. »Im Augenblick bietest du mir ungefähr so viel Schutz wie ein
zahnloser Wachhund, Darius. Ich beschütze dich.« Gern hätte sie ihm einen
finsteren Blick zugeworfen, fand jedoch nicht die Kraft, den Kopf zu heben.
»Verstehst du? Ich übernehme ausnahmsweise die Verantwortung.«
Julian schüttelte den Kopf.
»Ihr beide seid ein trauriger Anblick. Ich habe keine andere Wahl, als euch
meinen Schutz anzubieten. Ich werde fahren, während ihr euch ausruht.«
»Gute Idee«, sagten Darius
und Tempest wie aus einem Mund.
Darius tastete nach Tempests
Hand und verschränkte seine Finger mit ihren. Lange Zeit schwiegen sie, und das
Schwanken des Wohnmobils erschien ihnen eigenartig beruhigend. Dann strich
Darius leicht mit dem Daumen über ihre Fingerknöchel. »Ich möchte deinen
Körper neben meinem spüren«, flüsterte er.
Tempest hörte die Sehnsucht
in seiner Stimme. Er versuchte niemals, seine Gefühle vor ihr zu verbergen,
hatte keine Angst davor, verletzlich zu erscheinen. Sie war so erschöpft, dass
es sie sogar Mühe kostete, sich auf die niedrige Couch zu legen. Doch
schließlich schmiegte sie sich an Darius, der sie sofort in die Arme schloss.
Tempest fühlte sich sicher und beschützt. Hier war ihr Platz. Sie schloss die
Augen und schlief ein, ohne zu bemerken, dass Darius ihr den sanften
telepathischen Befehl dazu gegeben hatte.
Etwa eine Stunde später
schreckte Tempest auf, als Julian den Bus auf dem neuen Lagerplatz parkte und
den anderen die Tür öffnete. Desari eilte auf sie zu und schrie erschrocken
auf, als sie ihren Bruder und seine Gefährtin sah. Sie griff sich an die Kehle.
»Julian?« Ihre
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