Gefährlicher Verführer
die
Andersartigkeit seiner Familie durchaus tolerieren würde, solange sie sieh
nicht in ihrer Lebensweise eingeschränkt fühlte. Bislang hatte Tempest ein
Nomadenleben geführt. Zwar war auch Darius mit seiner Familie immer weder von
einem Ort zum anderen gezogen, doch Tempest war dabei stets allein geblieben.
Nur zu gut verstand Tempest die Lebensweise der Tiere und verfügte auch selbst
über einen starken Selbsterhaltungstrieb. Menschen, ihre Handlungsweisen und
Beweggründe dagegen verstand sie nicht so gut. Allerdings war sie in einem
Drogenhaus aufgewachsen, in dem Mütter ihre Kinder und ihre eigene Seele für
den nächsten Schuss verkauft hatten. Schon in frühester Kindheit hatte Tem-
pest beschlossen, für den Rest ihres Lebens so wenig wie möglich mit Menschen
zu tun haben zu wollen. Und seitdem war nichts geschehen, das ihre Meinung
geändert hatte.
Immer wieder versuchte
Rusti, der Wärme auszuweichen, die von Darius' Körper ausstrahlte. Er weckte
beunruhigende Empfindungen in ihr. Er war zu gefährlich, zu mächtig und viel zu
sehr daran gewöhnt, seinen Willen durchzusetzen. Sie mochte ihr ruhiges,
unabhängiges Leben. Die Einsamkeit gefiel ihr. Es würde ihr nicht im Traum
einfallen, sich nun in Darius' merkwürdige Familienangelegenheiten verwickeln
zu lassen.
Ohne es zu bemerken, seufzte
Tempest. Sie konnte nicht bei den Dark Troubadours bleiben. Zunächst war ihr
die Gruppe wie ein willkommener Zufluchtsort erschienen, sie verwandelte sich
nun jedoch in etwas, mit dem sie nicht umzugehen vermochte.
Darius betrachtete ihren
gesenktem Kopf, den gedankenverlorenen Ausdruck auf ihrem Gesicht und die
Traurigkeit, die er in ihren großen Augen las. Sanft verschränkte er seine
Finger mit ihren. »Du brauchst dich nicht zu beunruhigen, Kleines. Ich habe
geschworen, dich zu beschützen und für dich zu sorgen. Und einen solchen Schwur
nehme ich nicht auf die leichte Schulter.«
»Dies ist keine Situation,
auf die ich mich irgendwie hätte vorbereiten können, Darius. Selbst wenn du ein
... ein Karpatianer bist und kein Vampir, so bist du doch auf jeden Fall kein
Mensch. Ich merke es, wenn du telepathischen Kontakt zu mir aufnimmst.«
»Bist du denn ganz sicher,
dass du eine Sterbliche bist? Wenn ich meinen Geist mit deinem verschmelze,
stoße ich immer wieder auf Gedankenmuster, die sich von denen gewöhnlicher
Sterblicher unterscheiden.«
Tempest zuckte zusammen, als
hätte Darius ihr einen Schlag versetzt. »Ich weiß, dass ich anders bin. Glaub
mir, ich höre es nicht zum ersten Mal. Und du kannst mir auch keinen Namen
geben, der mir unbekannt wäre. Missgeburt. Mutation. Frigide ... Du darfst
dein Glück gern versuchen, doch ich habe schon alles gehört.«
Abrupt blieb Darius stehen
und hinderte auch Tempest daran weiterzugehen. Er nahm ihre Hand und führte
sie an seine warmen Lippen. »So habe ich es nicht gemeint. Ich bewundere dich
für deine Gabe. Wenn einer von uns eine Missgeburt ist, dann ich. Ich bin kein
Mensch. Ich bin unsterblich. Und ich kann dir versichern, dass du weder eine
Mutation noch frigide bist. Dein Herz und deine Seele haben nur auf mich
gewartet. Manchmal kann man sich eben nicht dem Erstbesten hingeben. Nur
wenige Sterbliche wissen, dass die vollständige Hingabe an einen Partner ihnen
heilig und nur für ihren wahren Lebensgefährten bestimmt sein sollte.
Vielleicht haben dich die Leute bloß beschimpft, weil sie spürten, dass du ein
Geheimnis kanntest, das ihnen auf ewig verschlossen bleiben wird, weil sie es
zu eilig hatten oder nicht über genügend Selbstwertgefühl verfügten.«
Tempest schlug den Blick
nieder, sodass ihre grünen Augen unter den dichten Wimpern verborgen blieben.
»Ich bin nicht mehr unberührt, Darius.«
»Weil dich ein Mann dazu
gezwungen hat?«
»Ich glaube, du hast einen
falschen Eindruck von mir gewonnen. Ich bin kein Engel, Darius. Ich habe Autos
gestohlen und frisiert, um damit spazieren zu fahren. Ich habe mich schon
immer gegen Autoritätspersonen aufgelehnt, vermutlich weil ich noch nie einer
begegnet bin, die ich respektieren konnte. Es erstaunt mich immer wieder, wie
gerade die Menschen, die anderen Rechtschaffenheit predigen, selbst manchmal
die unehrlichsten, hinterhältigsten Dinge tun. Sobald ich für mich selbst
sorgen konnte, habe ich meinen eigenen Ehrenkodex festgelegt und mich immer
danach gerichtet. Aber ich bin keine Heilige und war es auch nie. Dort, wo ich
herkomme, wachsen keine Heiligen auf.«
Jede kleinste
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