Gefährlicher Verführer
sein, denn sie
bewegen sich kaum.«
Tempest spürte die Berührung
seiner Lippen an ihrem Haar, als hätte er die seidigen Strähnen wie zufällig
gestreift. Schließlich gewann ihr Selbsterhaltungstrieb die Oberhand, und sie
versuchte, sich aus der Umarmung zu befreien. Doch plötzlich trat sie ins
Leere. Tempest hatte vergessen, dass sie auf einem Baumstamm stand. Nur Darius'
Umarmung hinderte sie daran, das Gleichgewicht zu verlieren.
Er lachte leise, und in
seiner Stimme schwang wieder dieser belustigte Unterton mit. »Ich hatte Recht.
Du brauchst mich. Du brauchst einen Wärter.«
»Aber nur, weil du mich
ständig in den Wahnsinn treibst«, erwiderte Tempest anklagend, hielt sich aber
trotzdem an ihm fest.
»Lass mich meinen Geist mit
deinem verschmelzen. Ich kann dir beibringen, die Geräusche der Nacht zu hören.
Meine Welt, Tempest.« Er blickte hinunter auf die zarten Finger, die sich an
seinen Arm klammerten. Sie war so zierlich, so zerbrechlich, eine kleine Frau,
die über unglaublichen Mut verfügte. Sie war wie für ihn geschaffen. Sein Herz,
sein Verstand und sogar seine Seele erkannten sie. Jede Faser seines Körpers
schrie nach ihr, verzehrte sich nach ihr mit einer Leidenschaft, die niemals
gestillt werden konnte.
Darius spürte, dass Tempest
in seiner Umarmung zitterte. Der Wunsch, sie zu beschützen, überwältigte ihn.
Er wollte sie in ein Versteck bringen und sie vor allen Gefahren der Welt
bewahren, sie immer in seiner Nähe wissen, damit er sie jederzeit beschützen
konnte. Doch er wusste auch, dass sie in der Welt der Sterblichen aufgewachsen
war. Es würde ihm niemals gelingen, das zu ändern. Tempests Erlebnisse hatten
ihren Charakter beeinflusst, ebenso wie er von seinen Erlebnissen geprägt
worden war. Er durfte nichts überstürzen. Er musste das Verlangen seines Körpers
und seiner Seele zurückstellen, um Tempests Ängste zu überwinden.
»Wenn du deinen Geist ganz
mit meinem verbindest, wirst du dann in der Lage sein, alle meine Gedanken zu
lesen?«, fragte sie besorgt.
Voller Zuneigung strich er
ihr übers Haar. »Du meinst, so, wie ich es jetzt schon kann?«
Ihre smaragdgrünen Augen
blitzten. »Du kannst nicht jeden meiner Gedanken lesen«, widersprach sie
energisch.
Darius hüllte sich in ein
kurzes, viel sagendes Schweigen. Tempest legte den Kopf in den Nacken, um ihn
anzusehen. »Oder doch?« Diesmal bebte ihre Stimme eindeutig.
Am liebsten hätte Darius ihr
einen Kuss gegeben, um den besorgten Gesichtsausdruck zu vertreiben. »Natürlich
kann ich das.«
Tempest biss sich nervös auf
die Unterlippe. »Das konntest du vor kurzem aber noch nicht. Ich glaube dir
nicht, Darius.«
»Du verbindest deinen Geist
mit meinem, wenn wir auf telepathischem Wege miteinander sprechen. Zwar hat es
einige Zeit gedauert, bis ich verstanden hatte, wie deine Gedanken angeordnet
sind, aber jetzt fällt es mir leicht, jederzeit in ihnen zu lesen.« Liebevoll
legte er ihr die Hand in den Nacken. »Wenn du möchtest, kann ich dir gern von
einigen deiner Erinnerungen erzählen. Zum Beispiel von der kleinen Gasse
hinter dem chinesischen Restaurant, die dir so gefallen hat. Du mochtest die
ungewöhnlichen Pflastersteine.«
Wieder versuchte Tempest,
sich von ihm zu befreien, doch Darius hielt sie fest in seinen Armen. »Nicht so
schnell, Kleines. Du warst diejenige, die mir vorwarf, die Unwahrheit zu
sagen.«
Steif stand Tempest vor ihm.
»Niemand verwendet mehr das Wort >Unwahrheit<. Man merkt dir dein Alter
an.«
Darius musste lachen. Es
erstaunte ihn, dass er nach den vielen Jahrhunderten der Einsamkeit und
Gefühllosigkeit plötzlich wieder befreit auflachen konnte. Die Nacht, die Welt,
das Leben an sich erfüllten ihn mit Freude. »Das war nicht nett, Tempest«,
schimpfte er, doch seine Stimme klang so sanft, dass sie Tempest dahinschmelzen
ließ.
»Keine Telepathie, Darius.
Ich finde, wir sollten etwas halbwegs Normales tun. Miteinander reden zum
Beispiel. Reden ist gut. Es ist normal. Erzähle mir von deiner Kindheit. Wer
waren deine Eltern?«
»Mein Vater war ein sehr
mächtiger Mann. Er wurde von den anderen oft als >der Dunkle< bezeichnet.
Er war einer der größten Heiler unseres Volkes. Offenbar hat seitdem mein
Bruder seinen Platz in unserem Volk eingenommen. Meine Mutter war sanft und
liebevoll. Ich erinnere mich an ihr wunderbares Lächeln.« Die Worte riefen
schöne Erinnerungen in Darius wach.
»Sie muss etwas Besonderes
gewesen sein.«
»Ja. Als sie ermordet wurde,
war
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