Gefährliches Begehren
anderen Frau, und es war ihr egal, ob sie eine Dame, eine Geliebte oder ein Dienstmädchen war, so verzweifelt wünschte sie sich, den kreisenden Gedanken zu entrinnen, die sie seit ihrem Besuch zu Hause verfolgten.
»Oh, Himmel! Was wollen die denn hier?«
Alicia drehte sich um, als sie den schockierten Ausruf der Frau hinter sich vernahm. Drei Damen, die an diesem Ort nun überhaupt nichts verloren hatten, betraten gerade den Salon.
»Das ist Lady Reardon!«, fuhr Alicias Nachbarin fort.
»Und Lady Greenleigh, dann muss die dritte also Lady Dryden sein!«
Nun, wenigstens Lady Dryden war ein wenig skandalumwittert, anders als die beiden anderen unumstößlichen Göttinnen der guten Gesellschaft. Lady Dryden hatte nur wenige Wochen nach der Beerdigung ihres ersten Mannes wieder geheiratet, obschon Alicia es für dumm hielt, ihr das zum Vorwurf zu machen, da doch ihr betagter erster Ehemann, Lord Barrowby, jahrelang ans Bett gefesselt gewesen war. Sie musste es sehr vermisst haben, ein eigenes Leben zu führen.
Offenbar war das auch den meisten anderen egal, denn Lady Dryden stand da in der Gesellschaft von zweien der alleredelsten Damen.
Und diese beiden sahen Alicia direkt an.
Sie atmete tief ein, denn das war ihr schon oft passiert. Rote Haare machten ein Untertauchen in der Menge schier unmöglich. Sie würden sich bald daran erinnern, wer sie war, und dann würden sie sich von ihr abwenden und vorgeben, nie auch nur im Geringsten an einer Unperson wie ihr interessiert gewesen zu sein.
Aber sie starrten sie immer noch an. Eine Warnglocke fing an, in Alicias Hirn zu läuten. Die Meinung von Damen wie diesen könnte ihr Unterfangen hier sehr viel schwieriger machen, um nicht zu sagen: schmerzlicher. Würden sie es wie Lady Davenport halten, die gerade in diesem Augenblick wie ein abgeschossener Pfeil auf die drei Neuankömmlinge zusteuerte, als seien sie beste und engste Freundinnen? Soweit Alicia wusste, konnte das auch durchaus sein.
Aber irgendwie sahen sie nicht danach aus. Lady Reardon war eine rundliche Brünette mit einem kecken Wesen und blauen Augen, aus denen der Schalk blitzte. Sie
schien ein wenig klein zu sein, aber das mochte auch an ihrer Begleiterin liegen. Lady Greenleigh überragte ihre beiden Freundinnen mit walkürenhafter Erhabenheit. Ihr Haar war dunkelblond und schimmerte golden im durch die Fenster fallenden Licht. Während sie sich im Salon umschaute, umspielte bereits ein leichtes Lächeln ihre Lippen, als wäre sie sich sicher, etwas Amüsantes zu entdecken.
Beide Damen waren auf ihre Weise hübsch, aber die skandalumwitterte Lady Dryden war eine ausgesprochene Schönheit. Alicia war zu ihrer eigenen Bestürzung von der Perfektion in den Zügen der Frau fasziniert. Dann entdeckte sie ein paar störrische Strähnen, die sich aus Lady Drydens strenger Frisur gelöst hatten. Zu wissen, dass auch eine solche Frau Probleme mit ihren Haaren hatte, machte sie irgendwie menschlicher. Alicia lächelte Lady Dryden freundlich an.
Lady Drydens Blick traf den ihren, und Alicia wich beinahe einen Schritt zurück, so sehr erschrak sie vor dem scharfen, forschenden Ausdruck in den Augen der anderen Frau. Das war keine geistlose, verträumte Schönheit!
Lady Davenport war schließlich bei dem Trio angelangt. Jetzt wünschte sich Alicia, sie wäre etwas näher dran, um den Austausch von Grußfloskeln zu hören, denn sie glaubte nicht, dass diese drei Frauen sich mit dümmlichen Geschlechtsgenossinnen abgaben. Selbst als sie Lady Davenport ohne irgendwelche Zeichen der Freude begrüßten, wanderten ihre Blicke immer wieder zu Alicia zurück, und sie hatte das ungute Gefühl, dass die drei hier waren, um sie zu treffen.
Was natürlich lächerlich und mehr als nur ein wenig beunruhigend war. Sie war sich nicht sicher, ob sie so viel Aufmerksamkeit erregen wollte.
Andererseits war sie doch genau deswegen hier, oder nicht? Um den Kampf mit der Gesellschaft aufzunehmen? Nun war die Gesellschaft – die wirkliche Gesellschaft, nicht nur ihre dekadenten Mitläufer – auf dem Schlachtfeld eingetroffen!
Also kopfüber ins Getümmel. Alicia atmetet tief ein, zauberte ein nichtssagendes Lächeln auf ihre Lippen und schwebte näher zur Tür. Lady Davenport warf ihr einen giftigen Blick zu, als sie sich ihnen näherte.
»Ah, ja. Hier haben wir ja Lady Alicia persönlich.« Lady Davenport schenkte Alicia ein unverhohlen abfälliges Lächeln. »Wir haben gerade von Euch gesprochen.«
Alicia strahlte
Weitere Kostenlose Bücher