Gefährliches Begehren
vorstellen, was er in unserem Haus, das ihm zum Gefängnis wurde, durchgemacht haben muss. Ich bemerkte nur, dass er von Tag zu Tag stiller wurde, sich in seinen Büchern vergrub und lange Ausritte über Land machte. Er war von Sonnenaufgang bis zur Abenddämmerung außer Haus, während die Leute, die ihn
betreuen sollten, entweder betrunken waren oder sich miteinander vergnügten.«
Alicia schluckte. Sie wusste, wie es war, in einem Haus zu wohnen, das sich wie ein Eisenkäfig anfühlte. Vieles hätte sie dafür gegeben, wenn sie die Freiheit eines Jungen gehabt hätte, einfach davonzureiten – obschon sie oft genug ausgerissen war, um ebenjenen Wald zu durchkämmen, durch den sie heute Morgen spaziert war.
»Wie ich schon sagte, will ich mein Verhalten nicht entschuldigen. Es war falsch von mir, und ich war viel zu sehr mit meinem eigenen Unglück beschäftigt. Ich hatte im Gegenzug meine eigenen Affären, und je öffentlicher sie waren, umso besser. Ich hielt Wyndham für viel zu jung und viel zu weit weg, als dass er etwas davon mitbekommen könnte. Aber Ilsa – Ilsa sorgte dafür, dass mein einsamer, kleiner Sohn jedes Gerücht hörte und jedes Wort in den Klatschspalten las.« Sie schloss die Augen. »Mein Mann hat mein Verhalten nie bemerkt, auch wäre es ihm egal gewesen. Wenn ich doch bloß gewusst hätte, wen ich damit tatsächlich verletzte.« Ein kaum vernehmbarer Schauer rann durch ihren Körper.
Ihr müsst doch kapieren, was Ihr ihnen angetan habt.
Alicia lehnte sich in ihrem Sessel zurück. Finsterste Verzweiflung überkam sie. War sie auch nur im Geringsten anders als die Marquise?
Nicht aus Wyndhams Sicht, so viel stand fest. Wenn sie von seiner Vergangenheit gewusst hätte … aber hätte das ihr Verlangen nach Rache gestillt?
Rache oder Wiedergutmachung? Hatte sie ihrer Familie wirklich schaden wollen? Hatte sie nicht vielmehr nach ihnen gerufen, damit sie sie endlich bemerkten?
Genau wie die Marquise. Alicia legte ihre Hand auf die Lady Wyndhams. »Ich verstehe vollkommen.«
Die Marquise öffnete die Augen. »Das weiß ich, meine Liebe. Leider könnte Wyndham Euch aus genau diesem Grund am Ende ablehnen.« Doch dann hellte sich ihre Miene auf. »Andererseits hat Eure Vergangenheit seine Leidenschaft für Euch bisher nicht geschmälert. Es könnte sein, dass Ihr diese alten Wunden endlich heilt.«
Trauer kroch durch Alicia. Es war nicht wahr und würde es wahrscheinlich nie werden. Wenn sie Wyndhams Schmerz überwinden wollte, dann musste sie einen riesigen Berg erklimmen – falls sie mutig genug sein sollte, es zu versuchen.
Aber sie war schließlich nicht auf sein Herz aus. Sie wollte eine Woche voller Leidenschaft, von der sie in ihrer ungewissen Zukunft zehren konnte, wollte die Chance, eben das zu erleben, dessen sie alle Welt für schuldig hielt. Ein Augenblick mit einem Mann wie Wyndham wäre mehr, als die meisten Frauen in ihrem Leben das Glück hatten zu erleben.
Sie wünschte sich, so offen sein zu können wie die Marquise, aber sie wagte nicht, Wyndhams Plan zu offenbaren, nicht einmal gegenüber seiner Mutter. Die Warnungen der Sirenen klangen ihr noch in den Ohren. Nein, sie würde es nicht riskieren.
»Ich fürchte, ich kann Euch Wyndhams Zuneigung nicht versichern«, sagte sie zu der Marquise. »Aber wenn heute Nacht alles gut geht, könnte sich das ändern.«
Die Marquise lächelte. »Ihr seid eine Frau mit Potenzial, Lady Alicia.« Sie beugte sich vor und lächelte Alicia verschmitzt an. »Ihr habt Großes vor?«
Alicia erwiderte ihr Lächeln. »Warum sollte ich mich mit wenig zufriedengeben?«
Die Augen der Marquise verengten sich zu Schlitzen. »Genau. Zeigt keine Gnade.«
Interessierte Augen beobachteten aus einem Versteck hinter einem Gebüsch von Immergrün, wie vier edle Pferde vorüberpreschten und die Herren auf ihren Rücken aus Freude an der Geschwindigkeit lachten.
Wyndham war nicht mehr allein. Vielleicht hätte er ihn heute Morgen umbringen sollen, als er auf der Suche nach seinem Flittchen durch den Wald marschiert war. Na ja. Er hatte schon immer eine Schwäche dafür gehabt, seinen Gegner leiden zu sehen.
Die drei Herren jedoch …
Es waren vier.
Sie waren es. Ein Blitz heißer Erregung durchfuhr ihn.
Vier Männer. Vier gescheite, loyale Männer, genau wie das legendäre Quatre Royale. Er spürte, wie ein grimmiges Grinsen die rauen Narben auf seinem Gesicht spannte, wie die zarte, neue Haut aufplatzte. Er ignorierte die heißen
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