Gefährliches Begehren
Luft?«
Stanton entspannte sich, was mit Sicherheit nicht die übliche Reaktion auf die Anwesenheit seiner Mutter war. »Ihr seht weit mehr als ausgezeichnet aus, Mylady.«
»Ich weiß, Darling, aber trotzdem danke, dass du es sagst.« Sie ging an ihm vorbei, beugte sich über die Steinbrüstung und schaute in den Garten. »Es ist kühl hier draußen. Warum kommst du nicht mit und wartest im Gartenzimmer auf sie? Dort ist es sehr angenehm. Cross hat es dieses Mal mit Blüten aus seinem Gewächshaus außerordentlich verschwenderisch geschmückt.«
Lord Cross bemühte sich bereits seit Jahren um Carolines Wohlwollen. »Ich bin mir sicher, er denkt daran, Euch auf die sanfte Art zu erobern, Mylady.«
»Bitte, Darling, sag doch ›Mutter‹ zu mir.« Sie legte die Hand in seine. Er nahm sie instinktiv. Seine Überraschung war groß. Sie war immer zu übertrieben, ja, theatralisch zärtlich gewesen, aber das hier war etwas völlig Neues. Es war einfacher und dennoch voller Bedeutung.
»Mir ist heute etwas bewusst geworden … etwas aus der Vergangenheit.«
Stanton erstarrte. Die Marquise schaute nie zurück, sie richtete ihre schönen Augen immer strikt nach vorn, als würde der Blick zurück die Möglichkeit anerkennen, dass in der Vergangenheit tatsächlich irgendetwas Relevantes geschehen war.
»Und das wäre, Mutter?«
Sie wandte sich zu ihm um, und zum ersten Mal bemerkte er die feinen, aber untrügerischen Falten um ihre Augen. Dieser Widerspruch zu ihrer scheinbaren Unsterblichkeit traf ihn hart.
»Ich war gerade erst sechzehn, als ich Mutter wurde«, sagte die Marquise sanft. »Und dazu noch für mein Alter ausgesprochen dumm und verantwortungslos.«
»Mutter, ich …«
Sie schüttelte heftig den Kopf, um ihm Einhalt zu gebieten. »Ich bin nicht besonders intelligent, Darling, aber ich bin auch nicht das Dummchen, für das ich gemeinhin gehalten werde. Möglich, dass ich an der Herausforderung gewachsen wäre. Ich hätte gefestigter sein können, selbstloser. Ich hätte mich mehr um dein Wohl kümmern müssen als um mein eigenes. Stattdessen beschloss ich, vor Wyndham und Ilsa Reißaus zu nehmen. Und vor dir.«
Jedes Wort, das sie ausgesprochen hatte, entsprach der Wahrheit. Stanton beobachtete bestürzt, wie das flatterhafte,
unstete Wesen, das er »Mutter« genannt hatte, sich vor seinen Augen in eine ernsthafte, aufrichtige Frau verwandelte.
Sie umklammerte seine beiden Hände. Er spürte durch zwei Lagen feinsten Nappaleders hindurch, wie ihre kalten Finger zitterten. »Es tut mir leid, Darling.« Sie schaute zu ihm auf, und aus ihren Augen sprach eine größere Intensität, als er jemals bei ihr wahrgenommen hatte. »Es tut mir mehr leid, als ich dir je klarzumachen vermag.« Ihre Miene war angespannt, und ihre Blässe verriet ihr Alter.
Sie war noch nie schöner gewesen.
Einen Augenblick lang war Stanton vor Überraschung sprachlos. Dann kam ihm ein schrecklicher Gedanke. »Ihr sterbt, nicht wahr?« Er trat einen Schritt zurück, um ihr besser ins Gesicht sehen zu können. »Das ist es, nicht wahr? Ihr bereut Eure Sünden, bevor es zu spät ist.«
Lange starrte sie ihn mit leicht geöffneten Lippen nur an.
Ihm wurde eiskalt. »Wir werden die besten Ärzte in England aufsuchen – in der ganzen Welt. Wir gehen nach Bath. Zur Kur.«
Sie schlug die Hände vors Gesicht und weinte … oder nicht?
Nein, sie lachte, japste vor hysterischem Kichern. Stanton richtete sich auf. »Was …«
Sie streckte die Hand nach ihm aus. »Es tut mir leid, Darling. Ich … ich sollte nicht lachen. Aber weißt du, mir … mir geht es gut.«
Und mit einem Mal sah sie tatsächlich gut aus. Ihre Augen leuchteten im Licht der Laterne, und ihr Lächeln war nie strahlender gewesen.
Er schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nicht.«
Sie tätschelte ihm den Handrücken. »Wirklich, Darling, ich bin kein bisschen krank. Ich hatte nur das Gefühl, es wäre an der Zeit, dir … nun, als wäre es an der Zeit.«
Stanton atmete langsam aus. Sein Magen krampfte noch immer von der Schwere des Schlags. Offenbar war er ihr mehr zugetan, als er es sich je eingestanden hatte.
Sie streichelte seine Wange. »Ich hatte deine heftige Reaktion nicht erwartet, aber ich muss schon sagen, dass es mir eine gewisse Befriedigung verschafft, zu sehen, dass es dir so nahegehen würde, mich zu verlieren.«
Stanton schüttelte den Kopf. »Natürlich würde es mir nahegehen. Ihr seid meine Mutter.«
Sie lächelte mit tränenverschleierten
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