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Gefährliches Geheimnis

Gefährliches Geheimnis

Titel: Gefährliches Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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diejenigen, die wussten, dass er der Vater des Opfers und damit der Schwiegervater des Angeklagten war, wirkte seine Anwesenheit wie die elektrische Ladung in der Luft vor einem Gewitter.
    Oben auf der Anklagebank, die erhöht und in einiger Entfernung vom Richter angebracht war, saß Kristian mit weißem Gesicht und tief liegenden Augen, die sehr dunkel
    und unenglisch aussahen. Würde das gegen ihn sprechen? Callandra warf noch einmal einen Blick auf die Geschworenen. Sie konzentrierten sich bis auf den letzten Mann auf den Anklagevertreter, einen kleinen Mann mit einem ziemlich gewöhnlichen Gesicht, das leidenschaft- liche Aufrichtigkeit ausdrückte. Als er kurz das Wort ergriff, war seine Stimme sanft und wohlmoduliert, eine Stimme, die einem fast sofort vertraut vorkam, als müsste man den Mann kennen und hätte nur vergessen, wann und wo man ihm begegnet war.
    Die Anklage wurde verlesen. Callandra hatte schon an anderen Prozessen teilgenommen, aber dieser Teil des Verfahrens hatte stets eine Realität, die in ihrer Wirkung fast körperlich zu spüren war. Als sie das Wort »Mord« nicht nur einmal sondern zweimal hörte, spürte sie, dass ihr der Schweiß ausbrach und der dicht gedrängte Saal vor ihren Augen zu verschwimmen schien, als würde sie in Ohnmacht fallen. Undeutlich spürte sie, dass Hester sie am Arm festhielt und stützte.
    Die Zeugen wurden einer nach dem anderen hereingebracht, angefangen mit dem Constable von der Polizei, der als Erster am Tatort war, nachdem die Leichen gefunden worden waren. Der Schock und das Gefühl der Tragödie waren ihm noch deutlich anzusehen, und Callandra spürte die Reaktion darauf im Saal.
    Es gab nichts, was Pendreigh oder ein anderer hätte tun können, um an den Tatsachen oder an dem Mitleid etwas zu ändern. Zumindest war er so klug, es nicht zu versuchen.
    Dem Constable folgte Runcorn, der einen unglücklichen, aber seiner selbst sehr sicheren Eindruck machte und sich sowohl dem Gericht als auch den Themen Leidenschaft und Tod gegenüber angemessen ehrerbietig verhielt. Callandra war verblüfft über den Zorn, den er an den Tag
    legte, als er über Sarah Mackeson sprach, als verstünde er sich selbst in gewisser Weise nicht, und dies schockierte ihn. Zwischen ihr und diesem relativ ungebildeten, recht ungehobelten Polizisten mit seinen Vorurteilen und Ambitionen lag ein riesiger Abgrund. Er war seit jeher Monks Feind gewesen, und sie fand ihn wichtigtuerisch, egozentrisch und absolut unangenehm.
    Und doch sah sie, wenn sie ihn jetzt betrachtete, dass seine Wut ehrlicher war als die feierlichen Worte des juristischen Verfahrens, das vor ihren Augen ablief. Er wollte nicht, dass es jemand mitbekam, aber die Sache ging ihm nahe.
    Die Geschworenen hörten es, und Callandra sah mit kalter Angst, wie auch in ihnen als Reaktion darauf die Wut wuchs. Weil Sarah für Runcorn real war und ein Leben geführt hatte, das einen Wert besessen hatte, wurde sie auch für die Geschworenen realer, und damit wuchs deren Entschlossenheit, jemanden für Sarahs Tod zu bestrafen.
    Callandra wusste, dass es Tag um Tag so weitergehen würde. Mit der ganzen Schärfe seines Intellekts, mit der Legion von Worten, die seinem Kommando unterstand, und seinen gesamten juristischen Kenntnissen konnte Fuller Pendreigh nichts ausrichten gegen die Tatsachen, die eine nach der anderen vorgelegt werden würden. Wo war Monk? Was hatte er in Wien in Erfahrung gebracht? Es musste eine andere Erklärung geben, und Callandra flehte zum Himmel, dass er diese fand!
    Sie saß elend und zitternd da, während die Dinge um sie herum so unbarmherzig ihren Lauf nahmen, als wäre es ein Theaterstück, das nach einem bereits geschriebenen Manuskript gespielt wurde, ohne dass es möglich war, den Höhepunkt oder die Tragödie am Ende zu verhindern.
    Monk besuchte Vater Geissner zu Hause, wie Magda Beck ihm vorgeschlagen hatte. Beim ersten Mal sagte die Haushälterin ihm, der Pater sei beschäftigt, aber sie traf eine Verabredung mit ihm für den nächsten Tag. Verärgert über die verlorene Zeit, verbrachte Monk die restlichen Stunden Tageslicht damit, durch die Stadt zu laufen und sich die Gegenden anzuschauen, in denen sich der Aufstand abgespielt hatte, und zu versuchen, sich vor seinem inneren Auge vorzustellen, wo die einzelnen Ereignisse, von denen man ihm erzählt hatte, stattgefunden hatten.
    In den ruhigen, wohlhabenden Straßen erinnerte nichts daran, dass die Cafés, Läden und behaglichen Häuser

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