Gefährliches Geheimnis
ihm mit einem kaum wahrnehmbaren
Lächeln zu, das mehr nach Bedauern aussah als nach widerwillig empfundener Bewunderung.
Monk versuchte, die Gefühle seines Gegenübers zu deuten, was ihm nicht gelang. Hinter dessen Worten steckte eine ganze Welt von Wissen, sehr viel subtiler als der reine Ablauf von Ereignissen.
»Kannten Sie auch Max Niemann?«, fragte er.
»Selbstverständlich.«
»Und Elissa von Leibnitz?«
»Natürlich.« War da ein Zittern in seiner Stimme? Der Priester war zu sehr daran gewöhnt, seine Gefühle zu ver- bergen, seine Reaktionen auf alle möglichen menschlichen Leidenschaften und Schwächen vollkommen hinter einer Maske zu verstecken.
»Und Hanna Jakob?«, fragte Monk weiter.
Schließlich zeigte sich doch eine Reaktion in Geissners Augen. Kaum wahrnehmbare und doch unmissver- ständliche Traurigkeit, die auch Bedauern enthielt, sogar Schuld. Weil sie tot war, oder war da noch mehr?
»Wie ist sie gestorben?«, fragte Monk und erwartete, dass Geissner ihm erzählte, es könnte nichts mit Elissas Ermordung zu tun haben. Aber der Priester zögerte ein wenig, während seine Halsmuskeln sich anspannten.
»Bei den Aufständen«, antwortete er. »Aber ich nehme an, das wissen Sie bereits. Sowohl Hanna, als auch Elissa waren bemerkenswert tapfer. Ich nehme an, Elissa war die eindeutigere Heldin. Sie setzte immer wieder ihr Leben aufs Spiel, zuerst ermahnte sie die Menschen, den Mut aufzubringen, für das zu kämpfen, woran sie glaubten, dann ging sie zu den Behörden und setzte sich für Reformen und eine Lockerung der Einschränkungen ein. Als am Ende Gewalt ausbrach, stand sie auf den
Barrikaden wie ein Mann. Sie war häufig an der Front, als kenne sie keine Angst. Sie war alles andere als eine dumme Frau und musste sich der Gefahren genauso bewusst gewesen sein wie alle anderen.«
Er lächelte, von einer schrecklichen Traurigkeit erfüllt. Seine Stimme war rau, als zerrte der Schmerz immer noch an ihm. »Ich erinnere mich an eine Situation, als ein junger Mann im Gewehrfeuer fiel, weit vor der Barriere aus Wagen, Stühlen und Kisten, die quer über die Straße aufgebaut war. Elissa rief, sie sollten hochklettern und die Soldaten in Schach halten, während sie nach vorne lief, um ihn zu retten, ihn dahin zu schleifen, wo sie seine Verletzungen behandeln konnten. Die Armee rückte gegen sie vor, etwa zwanzig Husaren mit den Gewehren im Anschlag, obwohl sie zögerten, ihre eigenen Leute niederzumetzeln.« Er zuckte leicht die Schultern.
»Natürlich lebte die Armee in Kasernen und kannte ihre Nachbarn nicht mal. Aber es ist immer noch etwas anderes, als Fremde anzugreifen, die eine andere Sprache sprechen und Soldaten sind wie man selbst.«
Monk fragte sich einen Augenblick, wie oft Geissner Soldaten die Beichte abgenommen hatte, die vielleicht versucht hatten, vor sich selbst zu rechtfertigen, dass sie auf unbewaffnete Zivilisten geschossen hatten, versuchten, mit den Albträumen zu leben und Pflicht und Schuld einen Sinn abzugewinnen. Aber dafür hatte er jetzt keine Zeit. Er musste Kristian verstehen und begreifen, ob er Elissa umgebracht haben konnte – oder ob es Max Niemann gewesen sein konnte.
»Ja?«, fragte er spitz.
Geissner lächelte. »Kristian stieg auf die Barrikade und feuerte auf die näher rückenden Soldaten«, antwortete er.
Monk war überrascht und vielleicht ein wenig traurig.
»Er hat nicht versucht, Elissa daran zu hindern?«
Geissner beobachtete ihn eindringlich. »Sie verstehen das nicht, Mr. Monk. Es war eine große Sache. Österreich quälte sich unter einem äußerst repressiven Regime. Dreizehn Jahre lang waren wir von dem alternden Fürst Metternich regiert worden. Er war konservativ, reaktionär und nutzte den ganzen Staatsdienst, um jegliche Reformen zu unterdrücken. Das intellektuelle Leben wurde von der Geheimpolizei und deren Informanten erstickt. Zensur unterdrückte Kunst und Ideen. Es gab vieles, für das zu kämpfen sich lohnte.«
Er seufzte. »Aber wie Sie wissen, wurde der Aufstand niedergeschlagen, so dass der größte Teil unserer Last immer noch auf uns lastete. Aber wir hatten Hoffnung. Kristian war der Anführer seiner Gruppe. Persönliche Gefühle wie Liebe und Zärtlichkeit hatten da keinen Platz. Wo bleibt die Disziplin der Truppe, wenn jeder Mann Ausnahmen macht für einen Freund oder eine Geliebte? Es ist unehrenhaft, aber vor allem ist es ineffektiv. Wie kann jemand einem trauen oder glauben, dass man die Sache über Leben oder
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