Gefährliches Geheimnis
zögerte. Es würde ihn in einem hässlichen Licht zeigen, und offensichtlich war er sich dessen bewusst. »Er brachte kein Verständnis für sie auf, sah ihre
Tiefe nicht, ihr Geheimnis«, versuchte er zu erklären. »Sie war eine bemerkenswerte Frau – einzigartig.«
»Sie war zweifellos schön«, meinte Monk. »Aber vielleicht war Schönheit nicht das, was sie am meisten auszeichnete?«
Allardyce erhob sich und warf Monk einen kurzen Blick zu, dann ging er hinüber zu einem Stapel Leinwände in der Ecke hinter der Staffelei. Er nahm zwei oder drei und drehte sie so, dass Monk sie sehen konnte. Es waren Bilder von Becks Frau. Das erste war eine rasch hingeworfene, einfache Skizze einer Frau, die in der Sonne sitzt, anschließend koloriert, um die Stimmung von Licht und Schatten einzufangen, das spontane Lächeln eines Men- schen in einem Augenblick der Freude. Es war ausge- zeichnet ausgeführt, und Monk betrachtete Allardyce sofort in einem anderen Licht. Er besaß eine scharfe Wahrneh- mung und die Gabe, sie mit Händen und Augen zu packen. Er war kein bloßer Kunsthandwerker, sondern ein Künstler.
Das zweite war unvollendet, ein sehr formelles Porträt einer Frau, die ganz offensichtlich Modell saß. Sie trug ein Kleid in einem kräftigen Pflaumenblau, das mit dem dunklen Hintergrund verschwamm, was ihr Gesicht und ihre Schultern besonders hervorhob, da das Licht auf ihrer Haut schimmerte. Sie sah zart aus, fast zerbrechlich, und doch lag in ihren Zügen eine außerordentlich starke Lei- denschaft. Jetzt wusste Monk, wie sie gewesen war, als sie noch lebte. Er bildete sich fast ein, ihre Stimme zu hören.
Aber das letzte Bild bewegte ihn am meisten. Es war in wenigen Farben gemalt, hauptsächlich Blau- und Grautöne mit ganz wenig Grün im Vordergrund. Es war eine abendliche Straße in der Stadt bei Regen. Die Laden- schilder waren mehr angedeutet als detailliert dargestellt, aber man konnte so viel Schrift erkennen, um zu bemerken, dass die Szene in Deutschland spielte. Im Vordergrund war
Becks Frau, jünger als jetzt, und ihre betörende Schönheit, ihre starke Leidenschaft und ihr Leid wurden durch das dunstige Zwielicht der Straßenlaternen noch verstärkt. Pferde mit schwarzen Federn – auch diese mehr angedeutet als vollständig gemalt – zeigten, dass sie einer Beerdigung beiwohnte. Die Schatten anderer Trauernder – fast Geister, als wären auch sie tot – umringten den Leichenzug. Aber im Mittelpunkt standen eindeutig sie und ihre Gefühle; alles andere war nur da, um die Macht und das Geheimnis ihres Gesichts besser zur Geltung zu bringen.
Monk starrte es an. Es war unvergesslich. Soweit er das von ihrem Anblick in der Leichenschauhalle beurteilen konnte, war es ihr sehr ähnlich, aber darüber hinaus hatte es auch den Geist einer außergewöhnlichen Persönlichkeit eingefangen. Um ein solches Porträt zu malen, musste der Künstler tief für sie empfunden und weit mehr von ihrer Natur erfasst haben, als durch reine Beobachtung zu begreifen war. Außer natürlich, er übertrug eigene leidenschaftliche Erlebnisse auf sie.
Aber Monk hatte Becks Frau gesehen, die erste Annahme war leichter zu glauben. »Warum dieses?«, fragte er Allardyce und zeigte auf das Bild.
»Was?« Allardyce konzentrierte sich wieder.
» Beerdigung in Blau? «
»Ja. Warum haben Sie es gemalt? Hat Mrs. Becks Vater Sie damit beauftragt?« Monk hätte Allardyce nicht geglaubt, wenn dieser die Frage bejaht hätte. Kein Mensch konnte ein solches Bild als Auftragsarbeit malen.
Allardyce blinzelte. »Nein, ich habe es für mich gemalt. Ich wollte es nicht verkaufen.«
»Warum Deutschland?«
»Was?« Er blickte mit kummervoller Miene auf das
Bild. »Das ist Wien«, berichtigte er Monk lustlos. »Die
Österreicher sprechen Deutsch.«
»Warum Wien?«
»Sie hat mir davon erzählt, aus ihrer Vergangenheit.« Er blickte Monk ins Gesicht. »Was hat das damit zu tun, wer sie umgebracht hat?«
»Ich weiß nicht. Warum haben Sie so lange gebraucht, um das Bild zu malen, das ihr Vater in Auftrag gegeben hatte?«
»Er hatte es nicht eilig.«
»Sie offensichtlich auch nicht! Brauchten Sie das Geld nicht?«
Monk gab seiner Stimme einen leichten Anflug von
Sarkasmus.
Allardyces Augen loderten einen Moment auf. »Ich bin
Künstler, kein Handwerksgeselle«, entgegnete er.
»Solange ich Farben und Leinwand kaufen kann, spielt
Geld keine Rolle.«
»Wirklich«, sagte Monk ausdruckslos. »Ich nehme aber doch an, dass Sie
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