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Gefährliches Geheimnis

Gefährliches Geheimnis

Titel: Gefährliches Geheimnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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sehr verpflichtet, um sie hinauszuwerfen, was die meisten Menschen in einer solchen Situation getan hätten? Oder verbarg er ein ganz anderes Ich, von dem er nicht wollte, dass sie es sah? Wollte er erst recht nicht, dass sie nach Hause ging und dem schlauen, scharfsichtigen, unbarm-
    herzigen Monk Bericht erstattete, der nie einen Fall aufgab, egal, wen die Wahrheit am Ende zerstörte?
    Hester wurde von einer eisigen Furcht um Callandra ergriffen, und sie schämte sich dafür. Sie kannte Kristian besser!
    »Kristian, war Elissa sehr religiös?«
    »Was?« Er sah total verblüfft aus, dann breitete sich eine stumpfe Farbe auf seinen Wangen aus, aber er klärte sie nicht auf.
    »Die Beerdigung war sehr formell.« Sie wusste, dass sie ihn verletzte, obwohl sie nicht wusste, wodurch.
    »Das war der Wunsch meines Schwiegervaters«, sagte er. Er sah sie nicht direkt an, sondern heftete den Blick auf einen unbedeutenden Gegenstand links von ihr.
    Sie merkte, dass ihr kalt war. Der Raum war zu kühl, um behaglich zu sein. Hatte er in einem anderen Raum gesessen, als sie an der Tür klingelte? Hatte er sie hier hereingebeten, in der Hoffnung, die Kälte würde sie bald wieder vertreiben? Wenn dem so war, dann hatte er das meiste von dem, was er über sie wusste, vergessen. Erinnerte er sich wirklich nicht mehr an die langen, er- schöpfenden Nächte voller Arbeit und Verzweiflung, die sie und Callandra zusammen in Limehouse verbracht hatten?
    »Und Sie haben nachgegeben?«, fragte sie ein wenig überrascht.
    »Er ist zutiefst erschüttert!«, antwortete er heftig. »Wenn es ihn tröstet … es schadet niemandem, Hester.« Es war ein Tadel, und sie spürte den Stachel.
    »Es tut mir Leid«, entschuldigte sie sich. »Das ist sehr hochherzig von Ihnen. Die Feier sah Ihnen so gar nicht ähnlich und war sicher sehr kostspielig.«
    Jetzt war es an ihm, vor Verlegenheit rot zu werden, was
    sie verblüffte. Sie hatte keine Ahnung, wodurch sie sein Erröten provoziert hatte. Es war ihm offensichtlich äußerst peinlich. Er senkte den Blick auf seine Hände und antwortete: »Es ist überhaupt nicht meine Art, aber wenn es ihm hilft, wenn er das Ritual vollziehen kann, werde ich ihm das doch nicht verwehren. Sie standen sich ungewöhnlich nahe. Sie hat ihn sehr verehrt.« Schließlich hob er den Blick, um sie anzusehen. »Auch er war sehr mutig, wissen Sie. Als Junge war er Bergsteiger. Es gab einen Unfall, und er rettete unter Einsatz seines Lebens die anderen drei Mitglieder seiner Gruppe. Klettern war damals groß in Mode, und der Vorfall wurde überall bekannt. Einer der geretteten Männer schrieb ein Buch darüber.« Er lächelte. »Ich glaube, in gewisser Weise versuchte Elissa, es ihm gleichzutun.«
    Hesters Augen füllten sich unwillkürlich mit Tränen.
    »Es tut mir Leid«, flüsterte sie.
    Er zuckte die Schultern und schüttelte leicht den Kopf.
    »Haben Sie ihm deshalb erlaubt, auch das Begräbnis- mahl bei ihm abzuhalten?«, fragte sie.
    Er wandte erneut den Blick ab. »Teils. Die Familie stammt aus Liverpool, nicht aus London. Er ist erst seit etwa einem Jahr hier, aber er hat viele Freunde in der Stadt, Menschen, die ich nicht kenne, und er wollte, dass sie eingeladen werden. Wie Sie gesehen haben, waren viele von ihnen da.«
    Ohne nachzudenken, sah sie sich im Raum um. Selbst in dem schwachen Licht der einzigen Lampe bemerkte sie, dass er schäbig war. Die Armlehnen der Sessel waren dort abgenutzt, wo Hände und Ellenbogen ruhten. Von der Tür bis zu den Sesseln war die Farbe des Teppichs ausgeblichen. So möblierte man einen Raum für Dienstboten für die kurze Zeit, in der sie nicht ihren
    Pflichten nachgehen mussten.
    Sie richtete den Blick wieder auf Kristian und sah mit Entsetzen, dass seine Augen vor Scham brannten. Warum hatte er sie in dieses Zimmer geführt? Jedes andere wäre doch sicher besser gewesen. Hatte es womöglich gar nichts damit zu tun, dass er wollte, dass sie wieder ging? War es vorstellbar …? Sie starrte ihn an, und eine Flut des Begreifens breitete sich zwischen ihnen aus. »Der Rest des Hauses?«, fragte sie flüsternd.
    Er blickte zu Boden. »Das hier ist das Beste«, antwortete er, »abgesehen von der Halle und Elissas Schlafzimmer. Der Rest ist leer.«
    Sie war niedergeschmettert, schämte sich für sich selbst ebenso wie für ihn, weil sie etwas unermesslich Privates ans Tageslicht gezerrt hatte. Und doch begriff sie es nicht. Kristian arbeitete härter als jeder andere Mann, den sie

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