Gefährliches Geheimnis
kannte. Nicht einmal Monk arbeitete so viel. Einen Großteil der Arbeit leistete Kristian ohne Bezahlung – sie wusste das von Callandra, die mit den Finanzen des Krankenhauses vertraut war –, aber seine normalen Arbeitsstunden wurden bezahlt wie die jedes anderen Arztes.
Es schoss ihr durch den Kopf, dass er bestimmte Dinge weggegeben haben konnte, aber das wäre eine noble Geste gewesen. Dann hätte er ihr ins Gesicht geblickt und es mit Stolz berichtet, und nicht in schweigendem Elend zu Boden gestarrt.
»Was ist passiert?«, fragte sie heiser. Sie wusste, dass sie aufdringlich war. Wäre Elissa nicht umgebracht worden, hätte sie niemals in einem solchen Schmerz herumgebohrt, indem sie nach Erklärungen fragte, aber jetzt war es womöglich der einzige Schritt zur Heilung, wie wenn man im Fleisch nach einer Kugel suchte.
»Elissa hat gespielt«, sagte er einfach. »Zuerst nur ein
wenig, aber am Ende konnte sie nicht mehr aufhören.«
»Ge … gespielt?« Hester hatte das Gefühl, einen Schlag bekommen zu haben. Ihre Gedanken überschlugen sich, versuchten, das Gleichgewicht zu halten. »Gespielt?«, wiederholte sie sinnlos.
»Es wurde zwanghaft.« Seine Stimme war ausdruckslos, ohne Gefühle. »Zuerst ging es nur um eine kleine Aufregung, aber als sie gewann, packte es sie. Dann ging es weiter, auch wenn sie verlor. Man glaubt, beim nächsten Mal gewinnt man wieder. Die Vernunft hat da keinen Platz. Irgendwann ist alles, woran man denkt, die nächste Gelegenheit, das Glück auf die Probe zu stellen, die Aufregung zu spüren, das Pochen des Blutes, während man auf die nächste Karte oder den nächsten Würfel wartet.«
Hester sah sich im Zimmer um, und es schnürte ihr die Kehle zu. »Aber es kann sie alles kosten!«, sagte sie mit erstickter Stimme. Wut kochte in ihr hoch, weil das Ganze so sinnlos war. Sie wandte ihm das Gesicht zu. »Und man kann nur gewinnen, wenn ein anderer verliert!«
Diesmal flackerten seine Augen nicht. Er wich der Wahrheit nicht mehr aus, und es war ein Anflug von Trotz zu spüren. »Ich weiß. Wenn es keine wirkliche Gefahr gäbe, keinen Verlust, würde das Herz nicht schneller klopfen und der Magen sich nicht verkrampfen. Der wahre Spieler muss mehr aufs Spiel setzen, als zu verlieren er sich leisten kann. Ich glaube nicht einmal, dass es ihr ums Gewinnen ging, es ging darum, das Schicksal herauszufordern und dann wegzugehen.«
Aber sie hatte nicht gewonnen. Sie hatte verloren. Es hatte ihr die Wärme und Schönheit ihres Heims geraubt, dann sogar notwendige Dinge, und hatte ihrem Mann Kummer bereitet und ihm den Trost eines Heims genom- men, für dessen Erhalt er hart arbeitete. Dazu die Scham,
die kaum zu ertragen war. Ihr ganzes soziales Leben war zerstört. Er konnte keine Einladungen mehr annehmen, weil er sie nicht erwidern konnte. Er war gesellschaftlich isoliert und hatte sicher schreckliche Angst vor ständig wachsenden Schulden, die er nicht mehr begleichen konnte. Das würde zu öffentlicher Schande führen, viel- leicht sogar in den Schuldturm, wenn er die Rechnungen des täglichen Lebens nicht bezahlen konnte und wütende, rachsüchtige Gläubiger ihre Forderungen stellten.
Es war wie eine Geisteskrankheit – eine Verrücktheit! Er hatte diese Frau einst geliebt, liebte sie vielleicht immer noch, aber ein Teil von ihr war für ihn unerreichbar geworden, und dieser zerstörte sie beide.
Hester wollte weder darüber nachdenken, noch sich der Sache stellen. Aber es war, bei aller Freundschaft für Kristian und Zuneigung zu Callandra, offenkundig, dass er damit ein ausgezeichnetes Motiv hatte, Elissa umzu- bringen. Ein so mächtiges, verständliches Motiv, dass Hester die Möglichkeit, dass er es in einem Augenblick aufsteigender Panik angesichts des drohenden Ruins getan haben konnte, nicht leugnete. Er war schuldig. Sie war betrübt und fühlte sich schuldig und verängstigt, aber in erster Linie empfand sie schmerzliches Mitleid.
»Wusste Pendreigh es?«, fragte sie.
»Nein. Sie hat es stets geschafft, es vor ihm verborgen zu halten. Sie hat ihn nur besucht, wenn sie eine Gewinnphase hatte, und dachte sich Ausreden aus, um ihn nicht hierher einzuladen. Ich glaube, das war nicht sehr schwierig. Meist hat sie meine Arbeit als Entschuldigung angeführt.« Er fröstelte und fuhr sich mit dem Handrücken über die Augenbrauen, als könnte der Druck den Schmerz dahinter lindern. »Das musste sie nicht erklären«, fuhr er mit heiserer Stimme fort. »Sie wusste
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