Gefährliches Geheimnis
nicht viel über meine Arbeit, ich habe sie nie wirklich mit ihr geteilt. Ich
brachte sie aus der Leidenschaft und der Aufregung in Wien hierher und erwartete, sie wäre inmitten von Menschen, die sie nicht kannte, glücklich und könnte ein häusliches Leben führen, ohne Bewunderung, ohne Gefahr, ohne Treue …«
»Es gibt auch hier sehr viele Kämpfe auszufechten«, sagte Hester leise. »Nicht auf den Barrikaden, sondern gegen Feinde, die nicht immer deutlich auszumachen sind, und es ist nicht immer ruhmvoll, aber es gibt sie.«
Er schlug sich die Hände vor die Augen. »Nicht für sie. Ich habe nichts getan, um ihr zu helfen, diese Dinge zu finden. Ich war zu sehr mit meiner eigenen Arbeit be- schäftigt. Ich habe erwartet, dass sie sich ändert. Das sollte man nicht erwarten … die Menschen ändern sich nicht.«
Hester wollte etwas sagen, wollte ihm widersprechen, um ihn zu trösten, aber es war etwas Wahres an dem, was er sagte, und für alles andere war er blind. Elissa hätte durchaus Dinge finden können, die ihrer Anstrengung wert gewesen wären, aber das würde Kristian nur als Entschul- digungen für sein Versagen sehen, sie glücklich zu machen.
»Vielleicht haben wir alle etwas von diesem Hunger in uns«, sagte Hester schließlich. »Aber wenn wir jemanden lieben, lernen wir, diesen Hunger in eine andere Richtung zu lenken. Ich ging auf die Krim, um als Kranken- schwester zu arbeiten, aber ich tat es auch um des Abenteuers willen. Es ist herrlich, so lebendig zu sein, selbst wenn ein Teil des Lebens aus Grauen, Zorn und Kummer besteht. Nicht gelebt zu haben ist der schlimmste Tod überhaupt.«
Sie lächelte kurz. »Ich wollte sagen, dass wir nur das Recht haben, solche Träume für uns selbst zu haben, aber kaum etwas, was wir tun, betrifft auf die eine oder andere Art nicht auch andere. Wenn ich zu Hause geblieben wäre,
wäre das Leben meiner Familie und auch ihr Tod anders verlaufen.«
Es tat weh, das zu sagen. Es war das erste Mal, dass sie den Gedanken überhaupt zuließ. Vielleicht wäre Charles’ Leben anders verlaufen, wenn sie da gewesen wäre, um die Last mit ihm zu teilen, statt ihn mit dem Tod des Bruders und des Vaters allein zu lassen. Erst jetzt, wo sie mit Kristian Beck in diesem Raum saß, dachte sie darüber nach, wie Charles mit der Trauer umgegangen war, wenn er versucht hatte, etwas zu sagen oder zu tun, um den Kummer ihrer Mutter zu erleichtern.
Machte er sich Vorwürfe, dass er versagt hatte und sie auch gestorben war? Machte Imogen sich jemals Gedanken darüber? Hester war wütend auf sie, dann auf sich selbst! Sie war auch nicht da gewesen. Liebe, Treue und Familienbande sollten mehr bedeuten, als ab und zu einen freundlichen Brief zu schreiben.
Sie berührte Kristian am Arm. »Es tut mir sehr Leid. Ich kann nicht sagen: ›Ich weiß, wie Sie sich fühlen.‹ Natürlich weiß ich das nicht – niemand kann das wissen, der nicht eine solche Situation erlebt hat. Aber ich weiß, was Schmerz ist und wie es ist, hinterher zu wissen, dass man dazu beigetragen hat. Es tut mir aufrichtig Leid.«
»Danke«, sagte er leise. Er biss sich auf seine volle Unterlippe, bis Blut hervorquoll. »Ich weiß nicht, ob ich froh bin, dass Sie gekommen sind, aber es freut mich auf jeden Fall, dass Ihnen etwas an mir liegt.« Seine Augen wa- ren sanft, und Hester sah darin eine große Ehrlichkeit und eine Tiefe der Gefühle, die zu benennen sie sich weigerte.
Es war sinnlos, ihm anbieten zu wollen, etwas für ihn zu tun. Alles, was man tun konnte, war, die Wahrheit heraus- zufinden und zu beten, dass diese ihn nicht noch mehr verletzte. Noch konnte niemand den Schleier über der
Dunkelheit lüften.
Sie stand auf und entschuldigte sich, und er nahm seinen Hut und seinen Mantel und begleitete sie durch den Nebel Haverstock Hill entlang in Richtung Stadt, bis er einen Hansom für sie fand, aber sie sprachen nicht mehr miteinander.
Auf dem ganzen Heimweg durch die in dichten Nebel gehüllten Straßen drehten sich Hesters Gedanken um das neue Wissen, über das sie so gefühllos gestolpert war. Sie machte sich Vorwürfe wegen der Schmerzen, die sie verursacht hatte, und doch war sie fest mit dem Leben der toten Frau verwoben. Elissa Beck war der Frau, die jeder Einzelne von ihnen sich vorgestellt hatte, in nichts ähnlich gewesen. Monk hatte gesagt, sie sei schön – nicht einfach nur attraktiv, sondern betörend, unvergesslich schön. Kristian hatte gesagt, sie sei tapfer. Jetzt schien es,
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