Gefaehrliches Schweigen
Kopfhörer auf und ließ Big FM alle anderen Geräusche ertränken.
Wuff durfte erst herein, als ich ganz sicher war, dass sie allein vor der Tür stand. Ich lag in der Dunkelheit, presste mein Gesicht in ihr weiches Fell und suchte Trost in ihrer Wärme.
Zwar hab ich schon eine Menge Blödsinn gemacht und die Erinnerung daran werde ich auch immer mit mir herumschleppen müssen. Aber ich hatte nicht vor, für die Fehler von jemand anderem den Kopf hinzuhalten.
Es gab nur eins, was ich tun konnte – die Wahrheit herausfinden.
SAMSTAG
Meine Eltern schliefen noch, als ich aufwachte. Ich selbst hatte miserabel geschlafen und war schlecht gelaunt.
Ich schlich mich leise ins Klo und huschte dann wieder in mein Zimmer. Meine Bücher und Hefte lagen nach meinem gestrigen Ausbruch immer noch auf dem Fußboden verstreut. Ich bückte mich, um sie zusammenzuscharren, als ich etwas erblickte.
Eine kleine Plastiktüte. In der Tüte lag ein Paar Ohrringe. Kleine Perlohrringe.
Mir fiel ein, was Simons Mutter über den Schmuck gesagt hatte, der verschwunden war.
Gold und Perlen.
Was hatten die auf meinem Fußboden zu suchen?
Jemand musste sie mir in die Tasche gesteckt haben.
Aber wer?
Wann?
Und warum?
Wenn Simons Mutter tatsächlich meine Tasche durchwühlt hätte, dann hätte sie die Ohrringe gefunden!
Aber gehörten die wirklich Frau Asp?
Schnell schmuggelte ich die kleine Tüte in meine Schreibtischschublade und ging dann mit Wuff hinaus.
Die Wettergötter taten ihr Bestes, um mir neue Kräfte zu verleihen. Die Sonne zeigte sich vorerst nur als Röte am Horizont. Die Luft war frisch und mild. Ich umrundete das Haus, lief direkt in den Wald und den steilen Hang hinunter. Dort, unterhalb des Abhangs, ganz in der Nähe des verwunschenen kleinen Sees, war meine Klassenkameradin Mikaela tot aufgefunden worden. Seither hatte ich diese Gegend gemieden, es war, als hätte der Wald sie umgebracht, aber jetzt, als meineigenes Leben ein einziges Durcheinander war, fühlte ich das Bedürfnis, meiner Angst zu trotzen, mich selbst am Kragen zu packen und mich daran zu erinnern, wie herrlich es ist, am Leben zu sein.
Trotz allem.
Ich folgte dem ausgetretenen Pfad. Wuff durfte frei laufen. Kurz versuchte sie, einen seitlichen Abstecher zu machen, versank dabei aber tief in den Schneewehen und arbeitete sich rasch zurück zum Pfad.
Ohne Eile stapfte ich durch den Schnee, während die Sonne allmählich aufging. Die Vögel zwitscherten um die Wette und verkündeten, dass der Frühling unterwegs war.
Und ich sagte mir, nicht ich sei bedauernswert, sondern Mikaela, die den Frühling und den Sommer, den sie so sehr geliebt hatte, nie mehr genießen durfte.
Das Leben ist nicht nur ein Tanz auf Rosen, man muss auch die Dornen aus den Fußsohlen rausziehen, wie mein Opa immer sagt.
Für mich war es an der Zeit, die Dornen rauszuziehen, egal wie schmerzhaft das sein würde.
Jemand versuchte mir die Schuld an Misshandlung und Diebstahl zuzuschieben, jemand, der mich genügend hasste, um gestohlenen Schmuck in meine Tasche zu schmuggeln.
Simon hatte über die Misshandlung gelogen. Aber hatte er auch die Ohrringe in meine Tasche gesteckt?
Und wenn ja, warum?
Mit einem Knäuel aus Fragen im Kopf drehte ich meine Runde. Wie sehr ich auch grübelte, sah ich letzten Endes nur eine Lösung: Ich musste noch einmal versuchen, mit Simon zu reden.
Ich wollte gerade in unsere Einfahrt einbiegen, als Linus mit Glöckchen auf den Fersen herauskam.
Er sah genauso überrascht aus wie ich.
„Du?“, sagte er.
„Ich wohne hier“, sagte ich.
Er lächelte leicht verärgert.
„Hab schlecht geschlafen“, fuhr ich sanfter fort. „Gestern hat unsSimons Mutter besucht, um zu behaupten, ich hätte Simon vermöbelt und dieser alten Tante im Spukhaus Sachen geklaut.“
Er zuckte stumm die Schultern.
„Ich hab nichts geklaut!“, rief ich aus.
„Aber du hast dich mit Simon gestritten, das stimmt doch?“
„Geschlagen hab ich ihn aber nicht!“
„Wenn du das sagst.“
„Glaubst du mir nicht?“
Ich sah ihn flehend an.
Er verzog bekümmert das Gesicht.
„Ehrlich, Linus! Glaubst du, ich könnte jemanden schlagen?“
„ Jeder kann jemanden schlagen. Im Notfall.“
„Aber es gab keinen Notfall!“
Ich trat einen Schritt vor, mit erhobenen Fäusten. Linus wich zurück und hob beschwichtigend die Hände. Glöckchen beobachtete uns aufmerksam. Wuff dagegen schwänzelte unbekümmert um uns herum, ohne die Spannung zu beachten, die in
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