Gefaehrliches Schweigen
Zug gerade abgefahren. Und Marko mit ihm. Es blieb mir nichts anderes übrig, als auf den nächsten Zug zu warten.
Ich rief Linus vom Zug aus an und sagte, ich sei unterwegs und müsse mit ihm reden, erwähnte aber nicht, warum. Nicht in einem voll besetzten Vorortzug. Irgendwie ist es einigermaßen privat, wenn der Kumpel von jemand, den man gut kennt, sich plötzlich als Ladendieb entpuppt.
Ich begab mich schnurstracks zu Linus und läutete.
Linus öffnete die Tür. Glöckchen begrüßte mich mit einem wütend piepsenden Plastikfrosch im Maul.
„Darf ich reinkommen?“, fragte ich.
Linus trat widerstrebend ein paar Schritte zurück, forderte mich aber nicht auf, meine Jacke abzulegen. Seine Eltern waren nirgends zu sehen.
„Bist du allein?“, fragte ich.
Er brummte etwas, das ich als ein Ja deutete.
Aber trotzdem blockierte er mir hartnäckig den Weg.
„Und? Was ist denn so unheimlich wichtig?“, fragte er fast gereizt.
Ich holte mein Handy hervor und drückte auf die Tasten, bis ein Foto erschien.
„Schau dir das hier mal an!“
„Schön.“
„Hast du sonst nichts dazu zu sagen?“
Er zuckte stumm die Schultern.
„Ich dachte, das würde dich aufregen.“
„Das ist doch Wuff.“
Ich sah nach. Das falsche Bild.
Also suchte ich das Foto von Markus hervor, der mit der Tasche davonlief.
Linus wirkte immer verwirrter.
„Ein Typ mit einer Tasche.“
„Das ist Marko. Die Tasche ist vollgestopft mit geklauten Klamotten. Da, bitte!“
Ich zeigte ihm die Aufnahme aus dem McDonald’s.
Auf dem Bild wurde die silberfarbene Folie in der Tasche ganz und gar von Markos Beinen verdeckt. Und dabei war ich überzeugt gewesen, meine Fotos würden den sonnenklaren Beweis für die Diebstähle liefern!
„Ooh, Mann!“, stöhnte ich enttäuscht. „Aber er hatte eine präparierte Tasche voller Kleider dabei, ehrlich!“
„Und woher willst du wissen, dass er sie gestohlen hat?“
„Ich hab’s gesehen. Zuerst hat er eine CD geklaut, dann Kleider.“
„Haben Jimmy, Stoffe und Elias auch etwas gestohlen?“
„Nja … nicht soweit ich gesehen hab. Aber sie waren die ganze Zeit mit Marko zusammen. Und weißt du, wen ich noch mit ihnen gesehen hab? Paulina und Filippa!“
„Aber die haben doch nichts geklaut?“
„Nein, die sind schon abgehauen, bevor Marko in dem ersten Laden was gestohlen hat. Kannst du Marko nicht anrufen und rausfinden, was er eigentlich treibt?“
„Das geht im Moment nicht.“
„Ach so?“
Er schielte verlegen zur Seite, in Richtung Küche. Ich trat ein paar Schritte vor.
Am Küchentisch saß Paulina.
Sie winkte mir fröhlich zu.
„Hallo, Svea!“
Als ob sie sich darüber freute, mich zu sehen!
Die Freude war nicht gegenseitig.
Ich kapierte sofort, warum Linus mich nicht hatte hereinlassen wollen. Er wollte mit Paulina allein sein!
Mein Herz begann wild in der Brust zu hämmern.
Linus räusperte sich betreten.
„Wir … äh … sitzen gerade an einer Gruppenarbeit.“
Ich nickte kurz.
„Verstehe“, entgegnete ich kühl. „Echt die perfekte Unterhaltung an einem Samstagabend.“
„Ja, ich würde am liebsten den ganzen Abend weitermachen“, zwitscherte Paulina. „Aber … sag mal, ich hab gehört, dass du über mich und Filippa gesprochen hast.“
D u hast gelauscht!
„Ich hab euch in der Stadt gesehen“, sagte ich ausweichend. Hoffentlich hatte sie nicht alles gehört, was ich gesagt hatte.
„Ich hab Filippa geholfen, einen Pulli auszusuchen.“
„Ich wusste gar nicht, dass ihr euch kennt.“
„Wir kennen uns seit vielen Jahren. Früher haben wir in derselben Band gespielt, ich Gitarre und sie Schlagzeug, aber dann hab ich aufgehört. Pferde sind mir lieber. Kann man dir was anbieten?“
Sie erklärte nicht, warum sie mit den Jungs unterwegs gewesen war. Stattdessen schob sie einen Teller mit Kuchenstücken zu mir rüber.
„Bitte sehr!“
Als würde sie hier wohnen!
„Ich muss nach Hause.“
Linus fuhr sich verlegen durchs Haar.
„Wollen wir mit den Hunden …“, fing er leise an.
„Ruf Marko an“, unterbrach ich ihn. „Wenn du nicht mehr so beschäftigt bist.“
„Tschüs!“, rief Paulina fröhlich aus der Küche. „Schön, dass du da warst!“
Findest du vielleicht!
Ich sagte nichts, als ich ging, weil ich befürchtete, meine Stimme könnte versagen.
Eine Meute aus Jungs umringte Marko, als er den Bus verließ, und zwang ihn, mitzukommen.
Ihm war klar, warum. Er hatte gekniffen. Jetzt würde er seine Strafe
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