Gefaehrliches Schweigen
sperrangelweit aufging.
Die Katze schlüpfte hinaus, setzte mit ein paar geschmeidigen Sprüngen über den Rasen und verschwand in die Tannenhecke hinein.
In diesem Moment kam Natalie wieder in die Küche.
„Wir können …“
Sie hielt mitten im Satz inne und sah die offene Tür misstrauisch an.
„Ist es dir zu warm?“
„Ööh, mir ist was passiert.“
„Was?“
„Deine Katze ist rausgelaufen.“
Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich blitzschnell und wurde zu einer wütenden Maske mit tausend Zornesfalten. Sie war drauf und dran, über mich herzufallen und mir die Augen auszukratzen.
„Hast du Molly rausgelassen?“
„Sie ist von alleine rausgelaufen.“
„Aber du hast ihr aufgemacht. Bist du wahnsinnig? “
„Ist sie denn keine frei laufende Katze?“
Anstatt meine Frage zu beantworten, fluchte sie und nannte mich Idiot und Spacko und andere wenig schmeichelhafte Dinge, bis ihr Geschrei in Tränen überging.
Wenn sie Jo gewesen wäre, hätte ich versucht, sie in den Arm zu nehmen und zu trösten. Aber ich kannte Natalie nicht besonders gut und traute mich daher nicht, so etwas zu tun. Außerdem war ich an ihrer Empörung schuld, daher hätte sie es in diesem Moment wohl kaum geschätzt, von mir umarmt zu werden.
Aber ich strich ihr wenigstens unbeholfen über den Rücken.
Ihr Geheul verwandelte sich in ein stilleres Weinen.
„Komm, wir gehen raus und suchen sie!“, schlug ich vor, als sie sich etwas beruhigt hatte.
Wir zogen unsere Jacken an und folgten den kleinen Pfotenspuren im Schnee bis zur Tannenhecke und von dort hinüber zum Nachbargrundstück.
Das Wetter hatte sich rasch verschlechtert. Bedrohliche Wolken hingen tief über den Dächern und sahen aus, als könnten sie jeden Moment aufplatzen und schwere Schneeflocken herabschütten. Dann würden die Spuren ganz zugedeckt.
Natalie war angespannt, machte mir aber keine Vorwürfe mehr.
Ich stellte mir vor, wie mir zumute wäre, wenn Wuff davongelaufen wäre, und konnte gut nachempfinden, was für Qualen sie gerade litt.
Natalie lockte mit zitternder Stimme.
„Miez, Miez. Komm, Molly, Molly.“
Ich begnügte mich damit, Ausschau zu halten. Mich kannte die Katze ja nicht. Ich würde sie mit meinem Rufen vielleicht nur abschrecken.
Wir liefen durch die Nachbargärten. Die Spuren vermischten sich bald mit anderen. Schließlich wussten wir nicht mehr, welche Molly gehörten.
Doch das hinderte uns nicht daran, immer weiter weg zu suchen, unter Büsche und Zweige zu spähen und schneebedeckte Äste hochzuheben.
Mir fiel ein, dass Katzen oft auf Bäume klettern, wenn sie erschrecken, und schaute daher immer wieder nach oben.
Wir näherten uns der großen Hauptstraße. Das Rauschen des Verkehrs wurde immer lauter.
Natalie stöhnte auf und ich wusste, was sie dachte. Wenn die Katze zur großen Straße gelaufen war, bestand die Gefahr, dass sie überfahren worden war.
„Womöglich ist sie schon wieder zu Hause“, schlug ich hoffnungsvoll vor.
Natalie nickte langsam.
„Das ist möglich. Vielleicht sollten wir …“
Plötzlich blieb sie jäh stehen.
„Molly!“
Ich schnappte nach Luft und wappnete mich vor irgendeinem schrecklichen Anblick.
Aber was ich zu sehen bekam, war Natalie, die mit ausgestreckten Armen und lautem Freudengeheul geradezu voranflog.
In einer Garageneinfahrt stand ein weißer VW -Kombi. Auf seiner Motorhaube lag eine schwarze Katze. Sie erhob sich langsam, streckte sich und machte dann einen weichen Satz in die Arme ihres Frauchens.
Ich befühlte die Motorhaube. Sie war warm. Typisch Katze!
Leichten Schrittes machten wir uns auf den Rückweg. Natalie schmuste mit ihrer Katze, völlig in ihre eigene Welt versunken.
„Na, das ist ja noch mal gut gegangen“, sagte ich schließlich.
Sie warf mir einen mörderischen Blick zu.
„Du hättest sie nicht rauslassen dürfen!“
„Das war nicht mit Absicht, aber sie ist doch immerhin eine frei laufende Katze?“
Natalie nickte stumm.
„Und du hast doch noch eine Katze gehabt?“, fragte ich versuchsweise.
Sie beschleunigte ihre Schritte. Offensichtlich wollte sie nicht reden. Doch das wollte ich.
„Natalie, ich hab eine SMS gekriegt, die sich auf deine tote Katze bezog. Das war eine Art Warnung.“
„Dann hör endlich damit auf, deine Nase überall reinzustecken!“
„Aber es stimmt doch, dass Jimmy und Stoffe dich mobben?“
„Ich will nicht darüber reden!“
„Kannst du nicht zum Rektor gehen? Ich würde dir gern helfen und
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