Gefaehrliches Schweigen
todernst.
Natalie und ich hatten jegliches Interesse an den Göttern der Antike verloren. Ich blieb trotzdem noch eine Weile in ihrem Zimmer sitzen, während sie Molly streichelte, ohne etwas zu sagen.
Als mein Magen immer lauter knurrte, stand ich auf. Für unsere Aufgabe hatten wir immerhin noch eine Woche Zeit.
Auf dem Heimweg holte ich mein Handy raus und hörte mir mein Gespräch mit Natalie an, das ich insgeheim auf dem Handy aufgenommen hatte. Meine Stimme war deutlicher zu hören als ihre, aber das Wichtigste war drauf: Ihr Geständnis, dass sie zu kriminellen Taten gezwungen worden war. Vielleicht würde ihr Wort irgendwann gegen meines stehen, und dann brauchte ich einen Beweis dafür, dass ich die Wahrheit sagte.
Ich ging schnurstracks zu Linus. Natalie hatte mich zwar angefleht, den Mund zu halten, aber auf Linus konnte ich mich verlassen.
Allerdings vergewisserte ich mich zuerst, dass Paulina nicht da war. Das war sie nicht. Seine Eltern waren auch noch unterwegs.
Wir gingen nach oben in sein Zimmer, wo ich ihm mein Gespräch mit Natalie vorspielte. Linus hörte es sich schweigend an, während sein Gesicht sich immer stärker verfinsterte. Erst als die Aufnahme zu Ende war, stieß er einen tiefen Seufzer aus.
„Wie kann man bloß! Das ist ja so was von grausam! Und feige! Also, ich meine, sich ein unschuldiges Tier als Opfer auszusuchen!“
„Ja, nicht wahr! Und garantiert hat sich Simons Kaninchen das Ohr nicht bei irgendeinem Unfall verletzt. Die erpressen ihn auch. Aber Marko, hat der denn einen Hund oder eine Katze …?“
Bevor ich meine Frage überhaupt beendet hatte, kam mir die Antwort.
„Seine Schwester!“
„Anna!“
Unsere Worte hallten durch die Luft, während wir uns anstarrten.
„Das ist ja der absolute Wahnsinn!“, stöhnte ich.
Wir saßen beide schweigend da und dachten nach. Ich bekam allmählich richtig Angst. Die ganze Sache war viel größer, als ich mir jemals hätte vorstellen können. Und schlimmer.
„Aber eins versteh ich nicht“, sagte Linus nachdenklich nach längerer Zeit. „Seit ich in diese Schule gehe, bedrohen Jimmy und Stoffe andere Schüler mit dem Messer und knöpfen ihnen Geld, Zigaretten und Handys ab. Aber weil niemand sich traut, gegen sie auszusagen, werden sie nie erwischt. Warum haben sie dann ihre Taktik geändert?“
Ich schüttelte langsam den Kopf.
„Kapier ich auch nicht. Aber vielleicht haben sie Schiss davor, in Läden was zu klauen. Das Risiko, erwischt zu werden, ist größer, weil es dort Überwachungskameras und Diebstahlsicherung gibt.“
„Mhm. Und darum opfern sie Marko. Und falls du was verrätst, ist er auch übel dran. Du bist Zeuge, dass Jimmy und Stoffe keinen Finger gerührt haben.“
„Aber ich hab Beweise dafür, dass sie in der Nähe waren, als Marko klaute.“
„Na ja, auf deinen Fotos hab ich nicht besonders viel gesehen.“
Du hast bloß Paulina gesehen, dachte ich, holte aber mein Handy hervor. Das erste Foto ließ mich innehalten. Es zeigte Simon, als er sich über den jungen Mann bückte, der an der Bushaltestelle zusammengeschlagen worden war. Das weckte schlimme Erinnerungen, also blätterte ich schnell weiter.
Wir sahen alle Fotos noch einmal zusammen durch. Meine Laune wurde immer düsterer. Das Einzige, was sie bewiesen, war, dass Marko mit Elias, Jimmy und Stoffe zusammenhockte oder durch die Gegend spazierte.
„Total wertlos!“, seufzte ich.
„Du hast dein Bestes getan“, tröstete Linus.
Ich seufzte noch mal, doch dann kam mir ein Gedanke.
„Eigentlich komisch, oder? Erpressung und ausgeklügelte Pläne, das klingt so gar nicht nach Jimmy und Stoffe. Kann es Elias sein, der das alles geplant hat?“
Linus zuckte stumm die Schultern.
„Aber man müsste es trotzdem irgendwie schaffen, sie auffliegen zu lassen“, fuhr ich fort.
„Hat irgendjemand dich um Hilfe gebeten?“
„Nein, im Gegenteil. Man hat mich gebeten, abzuhauen oder die Klappe zu halten.“
„Na dann.“
„Aber dann werden sie immer weitermachen.“
„Halt dich doch einfach raus“, sagte Linus müde.
„Nein, es muss eine Möglichkeit geben, sie zu überlisten, noch mehr Beweise aufzutreiben und ihre Opfer zur Zusammenarbeit zu bewegen – Natalie, Simon und Marko und all die andern, die sie zwingen, Geld und Sachen für sie zu anzuschleppen.“
„Die hätten doch schon längst was unternommen, wenn sie nur eine Ahnung hätten, wie sie das anstellen sollten.“
„Aber die haben doch schließlich Eltern!
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