Gefaehrliches Schweigen
nehmen.
„Das war jedenfalls nicht ich“, sagte er schließlich.
„Aber wer war es dann?“
Er schnaubte kurz auf.
„Ist doch wohl klar, dass ich das nicht sagen kann!“
„Aber du hast sie gestohlen?“
„Ja“, sagte er leise.
Ich starrte auf den Bildschirm. Starrte Simon an. Und plötzlich checkte ich, warum er sich über den bebrillten Typen bückte.
„Und du warst es, der diesem Mann an der Bushaltestelle Handy und Brieftasche geklaut hat.“
„Geschlagen hab ich ihn nicht!“
„Das hab ich auch nicht behauptet. Aber seine Sachen hast du ihm geklaut.“
„Was hätt ich denn tun sollen, verdammt noch mal! Du hast ja gesehen, wozu die fähig sind!“
Ich seufzte.
„Warum sprichst du nicht mit deinen Eltern?“
Die Antwort kam fast geflüstert.
„Du hast es selbst gesagt. Es wird nur schlimmer.“
„Aber du kannst diese Typen doch nicht einfach weitermachen lassen?“
„Was soll ich tun? Sie sind die ganze Zeit hinter mir her. Sei froh, dass du verschont bleibst.“
„Bei mir haben sie’s auch schon versucht!“
„Na bitte!“
„Aber ich weigere mich, andauernd Angst zu haben“, sagte ich. „Wenn wir zusammenhalten …“
„Wer macht noch mit?“
„Äh … vorläufig bloß ich, aber wenn du auch dabei bist, schließen sich die anderen bestimmt an.“
„Also, wir machen es so. Falls du es schaffst, noch jemand zu überreden, bin ich dabei. Bis dahin brauchst du nicht mit mir zu rechnen!“
Er legte auf.
Etwas hast du trotzdem beigetragen, dachte ich traurig.
Ich hörte mir die Aufnahmen an. Sie waren gut geworden. Zwar rauschte der Ton auf dem Tonbandgerät ein bisschen, aber jedes einzelne Wort war deutlich zu hören. Ich vervollständigte das Band mit meiner früheren Aufnahme von Natalies Enthüllungen. Schließlich kopierte ich das ganze Band sicherheitshalber noch einmal.
Das eine Band heftete ich mit Klebstreifen ganz hinten in eine Schreibtischschublade. Das andere steckte ich in einen Umschlag, den ich an Opa adressierte. Während ich damit zum Briefkasten ging, rief ich ihn an und bereitete ihn darauf vor, dass er eine Überraschung für Papas Geburtstag für mich verstecken musste.
Jetzt hatte ich Fakten. Und eine kleine Hoffnung, wenigstens Simon mit ins Boot zu holen.
Ich konnte weitermachen, Natalie und Marko überreden und noch weitere Opfer der Bande aufstöbern.
Eigentlich hätte ich froh sein müssen.
Aber das Einzige, was ich fühlte, war Angst. Und Trauer.
Ich überlegte, ob ich Papa das Band geben sollte, doch das widerstrebte mir. Alles zu erzählen, was ich selbst wusste, war eine Sache. Aber meine Schulkameraden reinzulegen, das war etwas ganz anderes.
Simon und Natalie hatten mir ihre Geheimnisse anvertraut, sie hatten Taten zugegeben, für die sie sich schämten, und mich gebeten, denMund zu halten. Sie hätten kein einziges Wort geäußert, wenn sie gewusst hätten, dass ich die Gespräche aufnahm. Ich hatte ihr Vertrauen ausgenützt.
Wenn jemand so etwas mit mir gemacht hätte, wäre ich rasend vor Wut geworden.
Am besten, ich wartete mit dem Band noch ab. Vielleicht würde alles auch so in Ordnung kommen.
Ich überlegte es mir lange, rief dann aber schließlich Linus an.
„Halloo! Du bist das! Wie geht es Wuff? Gut, oder? Ich hab euch draußen gesehen und da wirkte sie munter.“
„Passt schon“, brummte ich.
Ich wollte ihn fragen, ob er gewusst hatte, dass Elias und die anderen Typen auf uns gewartet hatten, aber die Worte blieben mir im Hals stecken und wollten nicht heraus.
Er dagegen hatte keine Probleme damit, die richtigen Worte zu finden. Sie strömten nur so aus ihm raus, während er alles auflistete, was wir gemeinsam unternehmen würden.
Kino. Bowlen. Spaziergänge.
Das klang verlockend. Seine Stimme war so weich.
Ich wollte eine normale Vierzehnjährige sein, die sich am Telefon mit einem Jungen unterhielt, den sie gernhatte. Ich hatte keine Lust, all die schrecklichen Geheimnisse auf meinen Schultern zu tragen. Jedenfalls nicht alleine.
Wir redeten lange miteinander. Sehr lange.
Schließlich erzählte ich ihm auch, dass ich Natalies und Simons Enthüllungen aufgenommen hatte. Und ich bat ihn um Rat.
Er sagte, er sei der gleichen Meinung wie ich. Ich dürfe Natalie und Simon nicht verraten.
Zufrieden, aber auch voller Angst, legte ich mich aufs Bett, um den morgigen Tag zu erwarten.
Linus hasste sich selbst.
Aber die Macht der Angst ist stark. Es war nicht leicht, forsch aufzutreten, wenn man von einer
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