Gefaehrliches Schweigen
fast hinübergetragen und sah mich jetzt besorgt an. Papa saß auf der Schreibtischkante und wartete geduldig auf eine Erklärung für meinen Tränenausbruch.
Mir wirbelten die Worte durch den Kopf, fanden aber nicht den Weg nach draußen. Es war, als hätte ich vergessen, wie man spricht. Weinen war viel einfacher. Aber ich machte einen Versuch und begann damit, all das Entsetzen, das sich in meinem Hals gestaut hatte, herauszuflüstern.
„Was hast du gesagt?“, fragte Mama freundlich, wie zu einem kleinen Kind, das gerade seine ersten Worte gelernt hat.
„Ich …“
Ihre Augen waren warm und gaben mir Kraft.
Endlich kamen die Worte.
„… Film über einen Kampfhund … im Computer …“
Während ich sprach, wurde ich allmählich ruhiger. Ich breitete die ganze Geschichte über die Ereignisse der letzten Wochen vor meinen immer entsetzteren Eltern aus. Das alles – der gestohlene Schmuck, die Misshandlung von Simon und die Bedrohung meiner Schulkameraden und jetzt auch von mir – klang wie aus einem Gangsterfilm der übelsten Art.
Obwohl Mama immer wieder „Das ist nicht wahr“ ausstieß, war mir klar, dass sie mir glaubte. Das war bloß eine Redensart, weil man einfach nicht will , dass so grausame Dinge wahr sein sollen.
„Und ausgerechnet an eurer Schule“, sagte sie auch. Ich weiß nicht, warum sie der Meinung war, unsere Schule müsse von solchen Dingen verschont bleiben. Vielleicht, weil sie inmitten einer idyllischen Villengegend lag oder weil wir ehrgeizige Lehrer und ein Antimobbingteam hatten. Was weiß ich.
Ich wusste nur, dass das Böse dort am Werk war. Und dass ich mich machtlos fühlte. Und dass die Angst wie ein scheußlicher Wurm an mir nagte und mir durchs Gehirn kroch.
Aber ich war nicht mehr allein.
„Jetzt verstehe ich auch, was das für Ohrringe waren, die in deiner Schublade lagen“, sagte Mama.
Ich zuckte zusammen.
„Hast du in meinen Schubladen herumgewühlt?“
„Ich war auf der Suche nach meinem schwarzen Tuschestift, den du ausgeliehen hattest, und als ich die oberste Schublade öffnete, lagen die Ohrringe da. Ich ahnte, dass es die sein mussten, von denen Simons Mutter erzählt hatte.“
„Wann hast du sie gesehen?“
„Letzte Woche.“
„Warum hast du nichts gesagt?“
„Ich wollte, dass du von dir aus die Wahrheit erzählst. Denn das würdest du ja früher oder später tun.“
Papa nickte auch.
„Das hier ist ja der reine Wahnsinn. Am Montag gebe ich es weiteran die Polizei. Und selbstverständlich komme ich mit in die Schule und spreche mit dem Rektor. Schade, dass du den Film gelöscht hast.“
„Die Polizei kann ihn bestimmt wiederherstellen“, vermutete Mama.
Ich lehnte mich an Mamas Schulter und schloss die Augen. Ihre Stimmen verschwanden aus meinem Bewusstsein.
Als ich aufwachte, lag ich in meinem Bett.
Im selben Moment fiel das Entsetzen über mich her.
Auch dein Hund kann zu so einem Schauspieler werden.
Voller Panik tastete ich nach Wuff.
Als meine Hand auf ihr raues Fell traf, stieß sie ein kurzes Grunzen aus und reckte sich.
Ich schmiegte mich eng an ihren warmen Körper und schlief wieder ein.
SONNTAG
Jetzt, da meine Eltern Bescheid wussten, war mir leichter zumute. Irgendwie würde alles wieder gut werden. Sie würden dafür sorgen, dass Jimmy, Stoffe und der Rest der Bande, wer auch immer sie waren, gestoppt wurden.
Was danach geschehen würde, kümmerte mich nicht. Ich bin erst vierzehn und kann die Welt nicht verändern. Jedenfalls jetzt noch nicht.
Ich stand am Morgen auf und machte das Übliche – duschte, föhnte mir die Haare trocken, zog Jeans, Pulli und Socken an, ging nach unten in die Küche und frühstückte Buttermilch und Brot.
Von außen sah ich wahrscheinlich aus wie immer. Aber in meine Ruhe mischte sich auch Enttäuschung. Der Junge, in den ich so kopflos verliebt war, hatte mich verraten. Er hatte mich ins Freie gelockt, damit Elias vortäuschen konnte, Wuff Rattengift zu geben. Dann hatte er einfach danebengestanden und zugeschaut und mich allein gegen eine ganze Bande kämpfen lassen.
Seit wir aus der Tierklinik zurück waren, hatte er nur eine einzige kümmerliche SMS geschickt. Wollte er denn gar nicht wissen, wie es Wuff ging?
Bestimmt hatten sie ihn auch eingeschüchtert, genau wie Simon und die anderen. Aber er hätte mich trotzdem nicht verraten dürfen.
Ich hätte ihn nicht verraten.
Im Laufe des Tages schwand mein Mut allmählich. Irgendwo in meinem Innern wuchs die Angst, dass
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