Gefährliches Spiel der Versuchung
sich irgendwo häuslich niederzulassen. Es entsprach seinem Wesen, als Einzelgänger durchs Leben zu streifen. Was Hänschen nicht lernt, das lernt Hans nimmermehr, behauptete ein altes Sprichwort.
Und doch hatte Shannon ihn in den letzten Wochen mehr über Mut und Treue gelehrt, als er in seinem ganzen Leben zuvor je begriffen hatte. Und über die Liebe.
Bei diesem Wort zuckte er zusammen, hörte Yussapovs dröhnendes Gelächter in den Ohren. Liebe. Beinahe hätte er über sich selbst gelacht. Aber er konnte die Stiche in seinem Herzen nicht leugnen, so scharf, als würde ihm ein Messer hineingestoßen, wenn er nur daran dachte, dass er Shannon niemals wiedersehen sollte. Gab es eigentlich auch Zeiten, in denen sie von ihren Pflichten entbunden war? Gab es Ferien? Wäre sie einverstanden, eine Woche auf dem Land mit ihm zu verbringen, ein kleines Zwischenspiel, wo sie sich darüber unterhalten konnten, was die Zukunft ihnen wohl bringen würde?
Seine Mundwinkel zogen sich hoch. Was Hänschen nicht lernt, das lernt Hans nimmermehr, dachte er wieder, aber vielleicht fallen auch dem alten Hans noch ein paar Kunststücke ein, mit denen er sie umstimmen kann.
»Worüber amüsieren Sie sich, Mr. Oliver?« In Jervis' Augen glitzerte es gefährlich, als er zu Orlov hinüberschaute. Auf dem Weg durch den Wald hatte er eine Flasche Bordeauxwein geleert und machte sich jetzt an die zweite Flasche - nur dass sie diesmal mit Whisky gefüllt war.
Die Mischung aus Alkohol, Wut und Frustration war unberechenbar, riss Orlov aus seinen Grübeleien; Jervis wäre ihm am liebsten ins Gesicht gesprungen.
»Ach, nur über meine eigenen Gedanken«, entgegnete er lässig, denn es schien keinen Sinn zu ergeben, so spät am Tag noch einen Kampf zu provozieren.
»Dann verkneifen Sie sich gefälligst dieses schmierige Grinsen.« Plötzlich schwang Jervis mit dem Gewehr in der Hand herum.
»Attendez-vous!«, mahnte der Comte mit leiser Stimme. »Geben Sie acht! Sie sind erschöpft, mon ami. Wir alle sind erschöpft.«
Jervis wehrte ab. »Ich bin nicht erschöpft. Ich bin es nur leid, die Frechheiten dieses Kerls noch länger zu ertragen.« Der Abzugshammer klickte hörbar.
»Jetzt lassen Sie es gut sein! Sie sind doch Engländer, sie können es mit Ihrem feinsinnigen englischen Humor doch wohl kaum verantworten, einen Menschen wegen seines Lächelns zu erschießen.« De Villiers grinste übertrieben, versuchte, die Spannung mit einem Witz zu lindern.
»Dem verfluchten Kerl sollte man eine Lektion in anständigen Manieren erteilen«, brummte Talcott. »Für seine gesellschaftliche Stellung hat er sich wahrlich zu weit vorgewagt.«
Plötzlich drängte es Orlov zu erfahren, wie weit Jervis wohl gehen würde. Der Comte hatte recht - kein Mensch erschoss einen anderen wegen eines provozierenden Lächelns in den Mundwinkeln. Es sei denn, die Nerven waren zum Zerreißen gespannt.
»Anständige Manieren?« Er zog die Brauen hoch und bemühte sich um ein gehöriges Maß an Sarkasmus in der Stimme. »Und welchen der ehrenwerten Gentlemen darf ich als Ausbund höchst perfektionierter Manieren betrachten?«
Die Wut schoss Jervis ins Gesicht. »Du wagst es, mich zu verspotten, du Hurensohn?«
»Randall ...«
Bevor der Comte ihn abhalten konnte, drückte Jervis den Lauf des Gewehrs fest an Orlovs Kopf und krümmte den Finger am Abzugshahn.
Das Geräusch der Explosion übertönte De Villiers Schrei. Funken stoben auf, wie um Talcotts stummes Entsetzen zu erhellen.
Orlov schaute an seinem Mantel hinunter. Für den Bruchteil einer Sekunde rührte sich niemand. Der Geruch des Schießpulvers waberte durch die Luft, während der Schuss durch die umstehenden Bäume hallte. Er wartete noch ein paar Sekunden, bevor er die Hände um die qualmende Gewehrmündung schloss - und lächelte.
»Hartley!«, schrie Jervis. »Um Himmels willen, helfen Sie!«
Orlov riss dem Gentleman die Waffe aus der Hand, schwang herum, riss mit derselben Bewegung den Kolben hoch und traf den Diener am Kopf. Entsetzt sackte der Mann zu Boden.
Panisch drehte Jervis sich um, stürzte sich auf De Villiers' Waffe. Orlov ließ sie in seiner Hand herumwirbeln, drehte sich auf dem Absatz und ließ das Metall auf Jervis' Rippen krachen.
Jervis verlor jeden Adel aus dem Gesicht und sackte stöhnend auf die Knie.
Orlov warf das Gewehr zur Seite und zog seine versteckte Pistole. »Helfen Sie Ihrem Kameraden auf die Beine!«, befahl er.
»T ... Teufelskerl«, stammelte Talcott.
Weitere Kostenlose Bücher