Gefährliches Spiel der Versuchung
deine kindische Verliebtheit in Lord Norbert! Dieser Nobody vom Lande war schon schlimm genug, aber ...«
»Er ist kein Nobody«, entgegnete Annabelle scharf, »sondern ein sehr ehrenwerter Gentleman. Du hast kein Recht, auf jemanden herabzublicken, nur weil sein Besitz in Yorkshire liegt.«
Ihr Bruder hob ebenfalls die Stimme. »Ich werde es nicht zulassen, dass du dir die Chancen auf eine gute Partie verdirbst, nur wegen eines nutzlosen Tagträumers, der dir um die Röcke schleicht. Falls es dir einfallen sollte, ihn darum zu bitten, dir hierher zu folgen, dann lass dir gesagt sein, dass ich ihm die Stiefelspitze in den ...«
Lady Sylvia ließ ihre Kleider rascheln und brachte Talcott zum Schweigen. »In Gegenwart fremder Leute sollten wir uns nicht streiten«, meinte sie mit betontem Blick auf Shannon. »Miss Sloane könnte uns für unzivilisierte Wilde halten.«
Mit einem Blick auf die Uhr beschloss Shannon, dass die Verzögerungstaktik ihre Wirkung gezeitigt hatte und sie sich jetzt gefahrlos zurückziehen konnte. Es würde sich nicht auszahlen, sich die Verwandtschaft der Witwe zu einem so frühen Zeitpunkt in ihrem Spiel zu Feinden zu machen.
»Ganz und gar nicht«, erwiderte sie mit samtweicher Stimme. »Sie haben sich in der Tat mehr als freundlich gezeigt, meine Anwesenheit so gnädig zu akzeptieren. Ich bin mir durchaus darüber bewusst, dass Lady Octavias Auffassungen über die gesellschaftliche Stellung der Hausgehilfen nicht auf das Wohlwollen der Mehrheit der Salons trifft.« Es mochte eine unwillkommene Neuigkeit sein, dass in Kürze ein weiterer Gast im Herrenhaus eintreffen sollte. Aber natürlich wagte sie nicht, sich näher nach dem Streit der Talcotts zu erkundigen. »Wenn Sie mich bitte entschuldigen wollen. Auch ich muss den Unterricht für morgen noch vorbereiten.«
Der unterwürfige Tonfall hatte Lady Sylvia ein wenig milde gestimmt. Sie war so gnädig, kurz zu nicken. »Guten Abend, Miss Sloane. Bitte lassen Sie sich durch unsere Ankunft nicht stören. Mit meiner Tante haben Sie einen wahrhaft würdigen Gegner, dem Sie die Stirn bieten müssen. Wir wären beschämt, wenn wir Ihnen noch zusätzliche Lasten aufbürdeten.«
»Wie freundlich.« Shannon gelang es nicht, den Gentlemen an den Gesichtern abzulesen, ob sie die Empfindungen wohl teilten. Lord Talcotts Miene war vom Alkohol zu sehr aufgedunsen, um viel zu erkennen zu geben; die anderen beiden hingegen erweckten den Eindruck, als wären Rebhühner und Fasane nicht die einzigen Vögel, die sie am liebsten abschießen würden.
Wohlhabende Männer von Rang hielten Bedienstete oft für leichte Beute.
Der Comte hörte auf, seine Nägel zu polieren, um sie zur Tür zu begleiten. »Bon soir, Mademoiselle.« Er hob ihre Hand an die Lippen. »Und beaux rêves.«
In der Tat, träumen Sie schön. Im Moment beließ sie ihn in dem Glauben, dass sie nichts als ein Täubchen war, das darauf wartete, vom Himmel geholt zu werden. Wenn die Zeit gekommen war, würde er rasch begreifen müssen, dass sie durchaus in der Lage war, scharfe Krallen auszufahren.
Zu ihrer Bestürzung war Shannon am nächsten Morgen nicht schnell genug, um Orlov noch im Frühstückszimmer zu erwischen. Hastig absolvierte sie die Vormittagsstunden mit Emma, während ihr zahlreiche Fragen bezüglich seiner nächtlichen Streifzüge durch den Kopf geisterten. Sie hoffte, noch vor dem Mittagessen ein paar Worte mit ihm sprechen zu können; stattdessen rief die Haushälterin sie in die Küche, um zu fragen, ob die Ladys aus London wohl eher Roastbeef oder Lammkeule zu Abend essen wollten.
Als Shannon in das Unterrichtszimmer zurückkehrte, waren sowohl der Hauslehrer als auch beide Kinder verschwunden.
Verdammt. Verdammt. Verdammt!
Auf der Hintertreppe übersprang sie zwei Stufen auf einmal, eilte durch die Spülküche und nahm die Abkürzung durch den Garten. Die Sonne spielte Versteck hinter den dicken Wolken, hatte die frische Brise in der Luft noch nicht wärmen können. Es war, als hätten sich Eisfinger um ihren Hals geklammert.
Wo stecken Prescott und Emma? Wohin hatte Orlov sie gebracht?
Der Pfad teilte sich. Sie wählte den rechten Abzweig, tauchte unter einer niedrigen Pergola durch, die mit Kletterrosen bewachsen war. Dornen streiften ihren Umhang. War es falsch gewesen, in der Wachsamkeit nachzulassen? Shannon ließ den Blick über die Heidelandschaft schweifen, war kurz davor, sich zu den Ställen zu wenden, als es hinter der Buchsbaumhecke in der Nähe
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