Gefährliches Spiel
seidige Strähne.
Er hatte ihren Geruch beinahe vergessen. Diese Mischung aus Shampoo, einem frühlingshaften Parfüm und ihrer Haut. Er atmete ihn ein und wurde sofort ruhiger. Seit er den Mann über die Klippe gefahren hatte, handelte Nick in einem Adrenalinrausch, straffer gespannt als eine Stahlfeder und mit dem Gefühl, ein riesiges klaffendes Loch in der Brust zu haben.
Charity zu berühren und ihren Duft einzuatmen, beruhigte ihn und kühlte das rasende Feuer in ihm. Er war wie eine verwundete Kreatur, von einem Jäger angeschossen, die blind herumstolperte, voller Schmerz, blutend. Charity heilte ihn, vervollständigte ihn.
Sie legte den Kopf zur Seite und sah ihn an. „Fang mit deinem Namen an. Ich muss deinen Namen wissen.“
„Nick. Nick Ireland. Aber das ist nicht der Name meiner Familie. Ich habe keine Ahnung, wie mein richtiger Name lautet. Ich bin in einer Babyklappe im Norden New Yorks abgegeben worden. Es gab eine Nachricht, die an die Decke geheftet worden war, die besagte, dass der Name des Babys Nick sei. Später an dem Tag rief ein Mädchen an und fragte, ob ich gefunden worden sei. Sie weinte. Die Sekretärin des Waisenhauses sagte, dass sie einen irischen Akzent hatte, also nannten sie mich Ireland. Niemand hat die geringste Ahnung, wer sie war.“
Nick beobachtete Charitys Augen. Diese Geschichte hatte er noch keiner anderen Frau erzählt. Er war richtig gut darin, sich Geschichten über seine Vergangenheit auszudenken. Es war ihm nie in den Sinn gekommen, die Wahrheit zu sagen. Er wollte weder Mitleid noch Entsetzen bei seinem Gegenüber sehen.
Das sah er auch jetzt nicht.
Charity blickte ihn mit ernstem Gesicht an und hörte einfach zu. „Sprich weiter“, sagte sie.
„Ich war für zehn Jahre beim Militär. In der Armee.“ Er sagte nicht, bei welchem Teil der Armee. Tatsächlich konnte er das auch gar nicht. Mitglieder der Delta Force unterlagen zwanzig Jahre lang der Schweigepflicht. „Ich bin bei einem Einsatz verwundet worden und musste aus dem Dienst ausscheiden. Ich habe die letzten zwei Jahre für die Regierung gearbeitet, in einer Sondereinsatztruppe, die in den Kreisen des international organisierten Verbrechens ermittelt, wo Verbindungen zu Terroristen bestehen. Es gibt mehr und mehr davon, und wir sind dazu da, sie zu stoppen.“
Er sah zu, wie sie diese Informationen im Kopf durchging. Er war sich sicher, dass sie alles, was er ihr erzählte, einsortierte und zusammenfügte. Er vergaß immer wieder, wie intelligent Charity war. Sie war so hübsch und so sanft, dass man die Tatsache, dass sie einen messerscharfen Verstand hatte, leicht übersah.
„Die Armee“, überlegte Charity. „Also vermute ich mal, dass du nicht auf die Duschvorhangstange deiner Tante gefallen bist, oder?“
„Nein, bin ich nicht.“ Es herrschte absolute Stille im Zimmer, während sie diese Neuigkeit aufnahm.
Charitys Gesicht verlor den geschockten Ausdruck. Es war jetzt ausdruckslos wie eine Porzellanpuppe. Das gefiel ihm nicht, weil noch mehr schlechte Neuigkeiten kommen würden, so unaufhaltsam wie eine Welle, die ans Ufer lief.
„Also … wenn du im Prinzip ein verdeckter Ermittler bist … und das bist du doch, oder?“ Nick nickte. „Warum bist du dann hier? Parker’s Ridge ist eine beschauliche kleine Stadt in Neuengland. Was könntest du ausgerechnet hier zu tun haben?“
Das war der Knackpunkt. Nick musste jetzt vorsichtig weitergehen. Wie über heiße Kohlen. Barfuß.
Er griff ihre Hand fester. „Wir sind wegen Wassily Worontzoff hier. Er ist der Kopf einer der mächtigsten russischen Mafiaorganisationen, und es gibt Hinweise, dass er mit einer El Kaida-Zelle in Verbindung treten wird. Und das sind streng geheime Informationen, Charity. Ich muss dir nicht sagen, dass all das dieses Zimmer nicht verlassen darf.“
Sie starrte ihn an. Sie lachte halbherzig. „Du ermittelst gegen Wassily ? Bist du verrückt? Er ist ein Schriftsteller, was hat er mit … Moment.“ Nick konnte beinahe sehen, wie sie die Puzzleteile zusammenfügte. „Wenn du hinter Wassily her bist – was verrückt ist –, dann bedeutet das, dass du hinter mir her warst. Jeder weiß, dass ich seine beste Freundin hier bin.“ Charity zog ihre Hand weg und stand abrupt auf. „Oh mein Gott.“ Sie legte die Hände auf ihren Kopf und drehte sich um sich selbst, als fände sie es schwierig, am selben Ort zu sein wie ihre eigenen Worte. „Du bist wegen Informationen zu mir gekommen. Ich war … ich war dein
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