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Gefaehrten der Finsternis

Titel: Gefaehrten der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chiara Strazzulla
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einem Moment noch aufbringen konnte. »Und wer seid Ihr, wenn mir diese Frage erlaubt ist?«
    »Irdris«, sagte sie knapp. »Einfach nur Irdris. Und du kannst mich ruhig duzen.«

    »Also gut, Irdris«, wiederholte Lyannen verwirrt. Dann fiel ihm ein interessantes Detail auf. »Irdris ist doch ein Ewigenname. Und bedeutet Licht des Westens.«
    Irdris nickte, sie schien nicht überrascht. »Ich weiß«, sagte sie. »Mein Vater war ein Ewiger.«
    »Ein Ewiger!«, rief Lyannen verblüfft aus, und plötzlich erkannte er, was ihm an dieser jungen Amazone merkwürdig vorgekommen war: Sie war eine Halbsterbliche, genau wie er. Er betrachtete sie nun mit neu erwachtem Interesse. Ja, da lag viel von der Anmut der Ewigen in ihrer Gestalt, in ihren mandelförmigen Augen und in der Form ihrer Ohren, die für eine Sterbliche viel zu spitz waren.Wie alt mochte sie wohl sein? Nicht viel älter als dreihundert Jahre, wenn auch sie mit der Unsterblichkeit gesegnet war, sonst keinen Tag älter als sechzehn. Lyannen hätte gerne nachgefragt, aber er war vor Überraschung wie gelähmt und brachte nur ein undeutliches Gemurmel heraus. Er kam sich zu lächerlich vor und schloss deshalb lieber den Mund.
    Irdris lachte über Lyannens verblüfftes Gesicht. »Ja, ich bin ebenfalls zur Hälfte Ewige«, bestätigte sie ihm, »genau wie du. Ich habe gleich gesehen, was du bist. Zu elbenhaft für einen Sterblichen, so hat es meine Mutter ausgedrückt, allerdings ohne dabei zu bedenken, dass du wohl kaum bei denen wärst, wenn du ein gewöhnlicher Sterblicher wärst.«
    »Bei denen?« Lyannen erholte sich allmählich von seinem anfänglichen Schock. »Wen meinst du damit?«
    »Na, die Ewigen, nicht wahr?«, gab sie zurück, als wäre es das Natürlichste auf der Welt. »Deine Gefährten - sechs Ewige und ein Gnom. Dass der mit dabei war, fand ich allerdings schon etwas merkwürdig. Gnome und Ewige haben sich noch nie besonders gemocht. Allerdings sind die Gnomen ja eigentlich neutral. Ein Sterblicher hätte niemals bei euch sein können. Seit Längerem verstehen sie sich überhaupt nicht mehr mit den Ewigen.«
    »Nein, da hast du recht«, sagte Lyannen und nickte zustimmend.
In Wirklichkeit wollte er nur etwas sagen, um nicht die ganze Zeit dumm Maulaffen feilzuhalten, denn eigentlich wusste er gar nicht so genau, wovon sie sprach. »Außerdem meinen sie, also die Ewigen, sie wären so viel besser als die anderen. Mein Vater hat mir erzählt, die Ewigen und die Sterblichen hätten einander früher geschätzt, aber davon merkt man heute nichts mehr.«
    »Deshalb gibt es nur noch wenige Halbewige«, sagte Irdris. »Unseren Aufzeichnungen zufolge lebten früher viele von ihnen. Wenn man sich auf die Überlieferungen verlassen kann, dann finden sich in den besten Familien der Ewigen, selbst im Königshaus, Spuren von sterblichem Blut. Und viele vornehme Sterbliche sind entfernt mit den Ewigen verwandt, selbst wenn sie heute nichts mehr davon wissen oder wissen wollen. Soweit ich weiß, gibt es jetzt in den gesamten Benachbarten Reichen, wenn man mal die Goldene Stadt beiseitelässt, kaum mehr als hundert Halbewige. Und nur wenigen davon ist die Gabe der Unsterblichkeit zuteil geworden. Du bist unsterblich, nicht wahr?«
    »Ja«, bestätigte Lyannen knapp, den diese Wortflut fast erschlagen hatte. Er hatte ihrer langen Rede regungslos gelauscht, aber noch immer wusste er nicht, worauf die Amazone eigentlich hinauswollte. »Du etwa nicht?«
    »Nein, ich nicht.« Irdris schüttelte den Kopf, doch sie lächelte weiterhin strahlend. »Zum Glück.«
    »Zum Glück?«, wiederholte Lyannen verwundert. »Wie kannst du so etwas sagen? Hast du denn keine Angst vor dem Tod?«
    »Warum sollte ich mich vor dem Tod fürchten?«, fragte Irdris, ohne verunsichert zu wirken. Allerdings war sie nun ganz ernst geworden. »Für nichts in der Welt würde ich mit einem Ewigen tauschen wollen, und ich kann auch die Leute nicht verstehen, die um jeden Preis unsterblich werden wollen. Ich möchte gar kein ewiges Leben haben.« Sie seufzte auf. »Ich habe keine Angst vor dem Tod, denn ich weiß, dass er unvermeidlich ist, ein Schicksal, das früher oder später alle trifft. Aber ich habe Angst,
sogar sehr viel Angst vor allem, was ewig dauert. Die Ewigkeit erschreckt mich, denn ich kann sie nicht begreifen, ich kann kein Ende absehen. ›Für immer‹ ist eine zu lange Zeit.« Dann starrte sie Lyannen an, der nichts anderes tun konnte, als ihr interessiert zuzuhören. »Ewig zu

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