Gefaehrten der Finsternis
stirbt, kehrt nicht wieder.«
»Allerdings haben viele von uns in früheren Zeiten miterlebt, wie der Feind gestorben ist«, rief ihm Brandan in Erinnerung. »Ich zum Beispiel. Die Feinde von damals sind tot. Aber dennoch habe ich jetzt das Gefühl, es seien immer noch dieselben.«
»Aber wie kann das sein?« Alvidrins Stimme war kaum zu vernehmen.
»Da gibt es nur eine Möglichkeit«, beantwortete eine sonore Stimme hinter ihm die Frage. Sie kam von Venissian dem Schützen. Er gab seinem Pferd die Sporen, bis er auf gleicher Höhe mit Alvidrin ritt, und sah ihn mit einem leichten Lächeln an. »Da gibt es nur eine einzige Möglichkeit, Alvidrin. Du bist jung, viel jünger, als du denkst. Und eines kann ich dir sagen: Die Jungen vergessen häufig, dass in der Vergangenheit, noch bevor sie geboren wurden, bedeutende Ereignisse stattgefunden haben. Es gibt einen Feind, einen wahren Feind, dessen Name allein genügt, um Angst und Schrecken zu verbreiten und der seit vielen Jahrhunderten nicht mehr in Erscheinung getreten ist.Wer diesem Feind ins Auge geblickt hat, bleibt davon für die Ewigkeit gezeichnet. Hier unter uns sind mindestens vier, die ihn selbst gesehen haben. Zunächst ich, ich bin ihm mindestens zweimal begegnet, und jedes Mal bin ich seinetwegen dem Tode nur knapp entronnen. Brandan war bei mir, er kann das bestätigen. Ich glaube, damals hat er sich zum ersten und einzigen Mal in seinem Leben gefürchtet.«
Brandan senkte den Kopf und nickte schweigend. Schon der Gedanke an diese Erinnerung schien ihn zu bestürzen.
Nach einer kurzen Pause fuhr Venissian fort: »Wenn ich mich nicht irre, und ich irre mich eigentlich nie in solchen Dingen, befand sich Damarius hier ebenfalls ganz in seiner Nähe. Schon damals führte er die Leute aus Irgist an.«
»Ja, aber etwas war damals anders«, erwiderte Damarius grimmig. »Damals hatte ich noch ein unversehrtes Gesicht, erinnerst du dich?«, fragte er und zeigte auf sein narbenübersätes Antlitz. »Und ich hatte noch einen Bruder.Wenn er sich nicht an meiner Stelle geopfert hätte, wäre ich nicht so leicht davongekommen.« Seine violetten Augen blitzten Venissian an. »Doch wen gibt es sonst noch? Du hast gesagt, dass mindestens vier von uns hier damals gegen ihn gekämpft haben. Ich erinnere mich an dich und auch an Brandan. Und an Vandriyan und Greyannah. Damit wären es fünf Überlebende, wenn man sie so bezeichnen will. Gibt es noch mehr?«
»Da könnte ich dir zum Beispiel Leidhall nennen«, antwortete Venissian. »Der war auch dabei, nicht wahr, Leidhall?«
»Ich war bei Greyannah«, antwortete Leidhall leise. »Und Mardyan dem Einsamen. Doch ich habe den Feind nicht einmal aus der Ferne gesehen. Ja, es stimmt, ich habe damals gekämpft. Aber nur wenige können von sich behaupten, dass sie ihm wirklich begegnet sind.«
»Ja«, sagte Venissian und nickte. »Ich habe auch nie gesagt, dass es viele waren. Doch unter uns Veteranen ist ganz sicher noch einer. Einer, den ich ebenso sicher niemals auf dem Schlachtfeld gesehen habe. Doch ich erkenne die am Blick, die der Finsternis ins Auge geschaut haben.«
Als sie den Namen der Finsternis hörten, fuhr allen ein Schauder über den Rücken.
»Die Finsternis!«, rief Sire Myrachon aus. »Aber die Finsternis wurde in jenen fernen Tagen besiegt!«
»Verjagt.« Venissian verzog seine Lippen zu einem bitteren Lächeln. »Verjagt. Nicht getötet. Schon sechsmal war sie verjagt
worden und dann dieses Mal, als die ganze Welt annahm, sie sei nun endgültig besiegt. Aber sie wurde niemals getötet. Und warum nicht? Weil man die Finsternis nicht töten kann. Man kann sie besiegen und für eine gewisse Zeit in die Flucht schlagen, und selbst dafür bedarf es enormer körperlicher wie geistiger Stärke. Doch töten, nein, töten kann man die Finsternis nicht. Sie ist kein Geschöpf von dieser Welt, sondern eher so etwas wie eine körperlose Kraft. Sie kann über uns kommen in Gestalt einer Kreatur aus Fleisch und Blut, aber das ist nicht ihr eigentliches Wesen. Du kannst die Erscheinung zerstören, hinter der sich die Finsternis verbirgt, aber du kannst sie selbst nicht vernichten. Du hast sie verjagt, aber früher oder später wird sie wiederkehren.«
»Die Finsternis!«, wiederholte der König. »Aber das ist unmöglich, Venissian, das ist unmöglich! Welche Hoffnung bleibt uns dann überhaupt?«
»Die gleiche wie jedes Mal zuvor«, entgegnete Venissian. »Ich weiß, wir sind nicht mehr dieselben wie früher.
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