Gefaehrten der Finsternis
ungezwungen und kennt keine Scheu. Und außerdem, wenn ich mich nicht sehr irre, schämst du dich vor allen Dingen, weil du der Bruder von Lucidious bist.«
»Mag sein.« Tyke schaute nach unten. »Aber darum geht es doch gar nicht.«
»Du hast damit angefangen«, sagte Lyannen. »Du weißt, dass ich damit nicht sagen wollte, dass du so bist wie Lucidious.«
Ein solcher Gedanke klang nun so unwahrscheinlich, dass sogar Tyke darüber lachen musste. »Nach allem, was ich angestellt habe, um ihm zu entkommen? Willst du mich auf den Arm nehmen?«
»Das schenke ich mir lieber«, meinte Lyannen. »Doch bitte lass uns jetzt nicht mehr über Irdris reden. Jedes Mal, wenn das Gespräch auf sie kommt, wirst du so unerträglich sentimental.«
»Ich bin nun mal verliebt, das ist alles«, sagte Tyke. »Ich muss mir ja auch immer anhören, wie du von deiner Eileen sprichst.«
Lyannen warf ihm einen flammenden Blick zu und erwiderte zornig: »Aber Irdris wurde nicht von einem größenwahnsinnigen Irren entführt!«
»Wollen wir nicht lieber das Thema wechseln?« Tyke stemmte sich aus dem Wasser und wickelte sich in das dunkelgrüne Handtuch. Tropfen rannen aus seinen nassen Haaren. »Was würdest du zum Beispiel von einem kleinen Spaziergang auf der Befestigungsmauer halten, solange das noch geht? Heute ist ein schöner sonniger Tag und aus dem Süden weht eine angenehme Brise, die einem das Leben gleich wieder freundlicher erscheinen lässt.«
»Einverstanden«, antwortete Lyannen. Er zog sich ebenfalls aus dem Wasser, schnappte sich das andere Handtuch und band es sich um die Hüften. »Diese Warterei geht mir allmählich ziemlich auf die Nerven.Wenn es schon Krieg geben muss, dann sollte es endlich so weit sein.«
»Der kommt schon noch, nur keine Sorge«, antwortete Tyke ernst.
Sie gingen zu den Umkleideräumen, zogen sich an, und dann liefen sie durch einige Flure, die zum äußeren Hof führten. Dort gab es eine kleine Treppe hinauf zu den Wehrgängen auf den Befestigungsmauern. Lyannen kannte den Weg mittlerweile auswendig, denn er war in den letzten Tagen sehr oft dort gewesen. Syrkun konnte noch so gastfreundlich sein, aber auf Dauer wollte man hin und wieder an die frische Luft.
Sie kamen zum äußeren Hof, der zwischen der Feste und dem ersten Wehrgürtel lag. Hier befanden sich die Gemüsebeete und die Stallungen, während es im zweiten Hof zwischen den beiden Gürteln der Befestigungsmauern nur noch militärische Stellungen gab. Dort drängten sich die Leute dicht an dicht und niemand achtete auf Tyke und Lyannen. Sie stiegen vorsichtig die Treppe hoch, denn die war sehr steil und sehr lang, und dann waren
sie auch schon oben. Der Wehrgang zog sich eng zwischen zwei Reihen Zinnen dahin und abgesehen von den Wachen an den sechs Wehrtürmen befand sich dort niemand.
Es ging eine angenehme frische Brise.Tyke und Lyannen liefen so lange nebeneinander her, bis sie zu einem abgelegenen Platz kamen, der nach Westen ausgerichtet war. Dort traten sie an die Brüstung, bestaunten zwischen den Zinnen hindurch die Aussicht und ließen sich den Wind um die Nase pusten. Die Landschaft vor ihnen sah großartig aus. Die Wiesen direkt unterhalb der Umfassungsmauern waren von Pusteblumen durchsetzt, die wie kleine weiße Punkte wirkten, und ganz in der Ferne, noch hinter den kahlen Hügeln verriet das Glitzern der Sonne, das sich im Wasser spiegelte, dass dort die Weißen Sümpfe lagen.
»Von hier oben hat man wirklich eine tolle Aussicht«, sagte Lyannen. »Wenn ich daran denke, wie weit jetzt der Wald ohne Wiederkehr entfernt ist, und dann südlich Feenquell und noch weiter südlich, mehr in diese Richtung, Dardamen, dann wird mir erst bewusst, wie viel Weg wir schon zurückgelegt haben.«
»In Dardamen muss es schön sein«, sagte Tyke. »Mein Vater war einmal dort. In Friedenszeiten möchte ich auch mal dorthin.«
»In Friedenszeiten …« wiederholte Lyannen. »Es gibt nicht mehr viele Sterbliche, die Dardamen gesehen haben. Aber es lohnt sich, denn es ist eine wirklich wunderschöne Stadt. Besonders im Frühling, wenn die Bäume blühen und ein Wind durch ihre Zweige streift und der Fluss Silberstrom unter der Ersten Brücke funkelt. Dann ist das wirklich ein prachtvoller Anblick. Ich wünsche mir so, dass du Dardamen einmal sehen kannst.«
»Warte mal«, unterbrach Tyke die schwärmerischen Schilderungen seines Freundes. »Schau mal da drüben. Zu den Hügeln. Was ist denn das für eine Staubwolke?«
Lyannen
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