Gefaehrten der Finsternis
kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können. Es sah aus, als ob Hunderte von Männern auf dem Vormarsch Staub aufwirbeln würden. Vielleicht täuschte er sich ja
auch bei der Entfernung, aber er meinte, kleine Gestalten ausmachen zu können. Er wandte sich wieder an Tyke. »Wenn es wirklich eine ernsthafte Bedrohung wäre, hätten die Wachen schon Alarm geschlagen. Die Ewigen haben deutlich schärfere Augen als du und ich.«
Wie als Antwort auf seine Worte hallte nun die helle Stimme eines Ewigen vom westlichen Wehrturm durch die Feste: »Ein Regiment!,« rief sie. »Ein Regiment von Amazonen nähert sich aus Westen!« Dann machte der Ewige eine Pause, um gleich danach hinzuzufügen: »Sie führen die weiße Fahne mit sich!«
»Amazonen?« Tyke schaute Lyannen mit weit aufgerissenen Augen an. »Das ist doch eigentlich gar nicht möglich. Warum sollten sie nach Syrkun kommen?«
»Ich wüsste da schon einen Grund«, sagte Lyannen leise. »Sie kommen unseretwegen! Tyke, unseretwegen. Wir sind vor ihnen geflohen, und bestimmt denken sie, dass wir Irdris geraubt haben. Sie werden von Greyannah unsere Auslieferung fordern.«
Tyke lachte nervös auf. »Lyannen, denk doch mal nach!«, rief er. »Greyannah würde euch niemals an die Amazonen ausliefern. Und es wäre auch zwecklos, euch gewaltsam wieder gefangen nehmen zu wollen. Sie werden doch nicht so dumm sein, Syrkun anzugreifen. Nein, das kann nicht der Grund sein.«
»Wie auch immer«, erwiderte Lyannen. »Ich möchte mir das auf jeden Fall näher ansehen.« Er lief den Wehrgang zurück, kletterte geschickt die Treppe hinunter, und Tyke blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
Unten war bereits eine große Menge herbeigeströmt, man sah Uniformen aller Farben darunter. Lyannen entdeckte seinen Vater in Begleitung von Ventel, der Hand in Hand mit seiner Verlobten Irmya lief, die ganz in Blau gekleidet war und wieder einen Schleier vor dem Gesicht trug. Endlich hatten sie in Syrkun wieder zusammengefunden. Etwas weiter entfernt stand Greyannah, der zu einem lachsfarbenem Ensemble einen grellorangen
Umhang trug.Vom Sire war nichts zu sehen, ebenso wenig von Slyman. Sie schafften es gerade noch, rechtzeitig durch das große Tor zu schlüpfen, ehe es verriegelt wurde. Die Leute im Schutz der beiden Wehrgürtel hielten etwas Abstand zum großen Haupttor. Es hieß zwar, dass niemand es durchbrechen konnte, aber da draußen standen Amazonen!
Nun waren die direkt vor dem Haupttor eingetroffen. Die Wache rief die traditionelle Formel »Halt! Wer da?«, aber man konnte der Stimme die kaum verhohlene Bestürzung anhören.
»Öffnet das Tor!«, antwortete von draußen eine helle Frauenstimme. »Wir tragen die weiße Flagge, seht Ihr das nicht?«
Greyannah stieg nach oben auf die Mauer und raunte der Wache etwas zu, die daraufhin beiseite trat. »Wir lassen eine von Euch herein«, rief er hinab. »Die soll uns dann Eure Beweggründe darlegen. Wenn wir sie für gut befinden, dann lassen wir Euch alle ein.«
Ein Torflügel wurde geöffnet, und eine junge Frau mit kastanienbraunen Locken trat mutig vorwärts, in der Hand ein weißes Tuch. Lyannen erkannte sie sofort - es war Ayanna. Im Gesicht trug sie Zeichen von kürzlich erlittenen Verletzungen. Greyannah beugte sich zwischen zwei Zinnen nach unten.
»Nun denn, was wollt Ihr?«, schrie er. »Ihr sprecht mit Statthalter Greyannah höchstpersönlich!«
»Sehr gut, Herr Statthalter!« Ayanna neigte sich zu einer eher ungelenken Verbeugung. »Wenn Ihr uns die Gnade erweisen wollt, mich und meine Schwestern einzulassen! Wir sind gekommen, um zu kämpfen. Unsere Späher«, fügte sie an, »haben uns darüber informiert, dass der Feind viel näher ist, als Ihr vermutet.«
Und damit hatten sie recht. Die erste Vorhut der Schwarzen Truppen wurden noch am selben Abend gesichtet.
ACHTUNDZWANZIG
D AS WURDE DIE schlimmste Nacht in Lyannens Leben. Die Schwarzen Truppen kamen in Scharen herbeigeströmt, es schien, als wolle ihr Zug niemals enden. Nach dem, was man ihnen berichtet hatte, waren auch Goblins und Kobolde darunter, und dazu noch das gesamte Heer der Sterblichen aus dem Nebelreich, außerdem Truppen von heimatlosen Söldnern, Untote und Dämonen. Der Kommandant dieses Riesenheeres war nicht zu sehen. Doch der Feind schien auch über Kriegsgerät, Karren und Leitern zu verfügen und wirkte entschlossen, die Feste zu erstürmen.
Innerhalb der Mauern von Syrkun war alles in heller Aufregung. Greyannah und
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