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Gefaehrten der Finsternis

Titel: Gefaehrten der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chiara Strazzulla
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kurzen Moment lang schien es, als ob jeder von beiden ganz genau verstand, was der andere dachte, ohne sich darüber zu wundern, wie sich ihre Gedanken und ihre Gefühle ähnelten. Dieser Augenblick währte jedoch nur so kurz, dass Lyannen es kaum mitbekam. Dann wandte er den Blick ab und richtete ihn wieder auf den Herrn der Finsternis. Aber er wusste, dass Scrubbs Augen weiterhin beinahe flehend auf ihn gerichtet waren. »Sag mir, was ich tun soll«, baten diese Augen, »sag mir, auf welcher Seite ich stehen soll.«

    Gylion beachtete diesen Blickwechsel zwischen seinem hartnäckigsten Gegner und dem einzigen Freund, den er jemals gehabt hatte, nicht. Jetzt lachte er nicht mehr, sondern hatte seine Lippen zu einem hinterhältigen Grinsen verzogen. »Aber sicher«, säuselte er sanft. »Du möchtest deine kleine Prinzessin wiederhaben, stimmt’s? Und ich soll dir jetzt sagen, wo sie sich befindet, wo ich das noch nicht einmal meinen treuesten Statthaltern verraten habe?«
    Er schien einen Moment lang nachzudenken, aber Lyannen wusste, dass er sich nur über ihn lustig machte. Der junge Halbsterbliche hatte gelernt, keine unüberlegten Schritte mehr zu machen. Zurzeit konnte er nur abwarten.
    »Aber doch, ich denke, dass ich es dir sagen werde«, sagte Gylion überraschend. Er strich sich über sein glattes Kinn und grinste weiter auf diese typische beunruhigende Art. »Schließlich, wem solltest du es noch verraten? Tote reden nicht.« Dann starrte er ihn durchdringend an. »Ich an deiner Stelle würde es allerdings gar nicht wissen wollen.«
    Lyannen hielt seinem Blick stand und legte all seine Verachtung in ein einziges Wort. »Eileen«, sagte er.
    »Wie eilig du es hast«, sagte sein Feind. »Du wirst deine Eileen schon noch wiedersehen.Aber zuerst möchte ich dir etwas erzählen. Man sagt, dass die Finsternis niemals gestorben sei, obwohl alle gesehen haben, wie dein tapfererVater sie getötet hat. Es heißt, dass sie sich nur irgendwo versteckt hielt, wo sie auf Rache gegen die Ewigen sann, die sie besiegt und gedemütigt hatten. Und wo sie auf den geeigneten Moment wartete, um wieder in Erscheinung zu treten. Eine Legende, so habt ihr vielleicht gedacht. Die Zeit vergeht, was geschehen ist, gerät in Vergessenheit, vielleicht hat es da die Finsternis ja niemals gegeben, stimmt’s? Stattdessen wartet die Finsternis noch immer. Ich warte noch, Lyannen, der Halbsterbliche. Denn ich bin die Finsternis selbst. Und ich bin gekommen, um euch alle ohne Ausnahme tot zu sehen.«

    Lyannen fuhr ein Schauder den Rücken hinab. Die Finsternis. Er und der Herr der Finsternis wiederholten eine Szene, die sich mit anderen Beteiligten so schon mehrfach abgespielt hatte. Und doch erfüllte ihn keine Panik, keine Verzweiflung. Angesichts der erschreckenden Gewissheit, wer der Feind in Wirklichkeit war, wuchs seine Entschlossenheit.
    In den Augen des Herrn der Finsternis loderte ein Jahrtausende alter Wahnsinn, der schon immer, seit Anbeginn der Welt, existiert hatte und der durch die Kämpfe und Niederlagen und die Rachegefühle, über denen er in seinem langen Exil gebrütet hatte, wiedererstarkt war.
    »Wie lange habe ich ungeduldig darauf gewartet und konnte es kaum ertragen, den Ewigen dabei zuzusehen, wie sie vor meinen Augen wuchsen und gediehen, während ich wusste, dass der Moment, in dem ich ein für alle Mal gewinnen würde, erst noch bevorstand? Wie sehr habe ich gelitten, wenn ich an all das zurückdachte, was geschehen ist, und mich in einem Hass verzehrte, den ich nicht loswerden konnte, gefangen in eine Art Vorhölle, in die ich mich zurückgezogen hatte - zu nichts anderem fähig, als den Ruhm meiner Feinde mitanzusehen und mich vor Wut zu verzehren? Jede einzelne Wunde, die mir die Ewigen zugefügt hatten, brennt noch immer offen in mir, blutet ohne Unterlass und erinnert mich daran, wie ich geschlagen, gedemütigt und vertrieben wurde! Doch ich spürte, dass meine Macht wiederkehren würde, ich spürte, dass ich stärker wurde, auch wenn der Preis, den ich dafür bezahlte, hoch war. Jahrtausendelang lebte ich im Verborgenen, und mein einziger Gedanke war, dass ich wiederkehren würde, dass ich die Ewigen zwingen würde, unendlich zu leiden, dass ich sie fallen, sterben, um Gnade winseln sehen wollte. Oh Rache, Rache! Wie süß dieses Wort doch ist! Und jetzt endlich werde ich das erhalten, worauf ich so lange gewartet habe!« Er wandte sich wieder Lyannen zu, und sein grimmiges Lächeln glich dem eines

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