Gefaehrten der Finsternis
große Bedrängnis brachte, und hatte die Sterblichen dazu überredet, ihr Bündnis zu brechen. Er hatte Tod, Angst und Schmerz über das Königreich gebracht.
Und er hatte Eileen geraubt.
Eileen.Wenn man sie nicht entführt hätte, wäre Lyannen vielleicht im sicheren Dardamen geblieben und so vieles wäre nicht geschehen: Sie hätten keine gefährlichen Abenteuer bestehen müssen, Dalman wäre nicht gestorben und Ventel hätte sich nicht so unwiederbringlich verändert. Lyannen wäre einfach in Dardamen geblieben, weil ein Halbsterblicher nicht dem Heer der Ewigen beitreten konnte. Er hätte diesen Krieg nur vom Hörensagen gekannt. Vielleicht wäre er auch noch ganz anders - ruhiger, hätte weniger Ängste, weniger Fragen, auf die es keine Antworten gab. Aber er wäre auch unreifer, weniger erwachsen geblieben. All die Abenteuer hatten ihn in gewisser Weise reifen und sich entwickeln lassen. Der Junge, der von Dardamen aufgebrochen war, weil er sich in eine Prinzessin verliebt hatte, ohne zu verstehen, was das eigentlich bedeutete, und dessen einziges Problem letzten Endes zwanzig Zentimeter Größenunterschied und die falsche Haarfarbe waren, und der Mann, der nun um sein Leben, für das Ewige Königreich und für etwas kämpfte, das nicht einmal er genau hätte beschreiben können, waren nicht ein und dieselbe Person. Der Lyannen, der er einmal gewesen war, hätte nicht lange darüber nachgedacht, wie er Eileen retten
könnte, er wäre einfach davon ausgegangen, dass ihm das irgendwie gelingen würde; der Lyannen, der er nun war, hatte ernsthaft überlegt. Und war so zu einem Ergebnis gekommen.
Um zu Eileen zu gelangen, musste man erst den Herrn der Finsternis finden.
Er fürchtete sich nicht davor, ihm plötzlich gegenüberzustehen. Obwohl er genau wusste, wie grausam dieser Mann war, wie mächtig und gefährlich, welche und wie viele Diener er um sich scharte, die nur seinen Befehlen gehorchten. Er wusste, wie gewagt es war, ihn herauszufordern. Er wusste dies alles und wusste genau, worauf er sich einließ. Und dennoch hatte er keine Angst. Er hatte eine Aufgabe zu vollbringen und verfügte über den nötigen Ehrgeiz, dass ihm dies auch gelingen konnte, und die Magie des Talismans, den ihm sein Vater geschenkt hatte, würde ihm dabei helfen. Und er würde nur aus einem einzigen Grund kämpfen, und zwar, um Eileens Qualen zu rächen, um Dalman und Ventel und all diejenigen, denen ein Leid zugefügt worden war, Genugtuung zu verschaffen. Ihn eingeschlossen.
Er war noch nie sicherer gewesen, dass er es schaffen konnte.
»Komm heraus!«, schrie er, mit aller Kraft. »Komm heraus, du Feigling! Herr der Finsternis, so lässt du dich doch nennen, als ob du ein Gott wärst! Aber hier nun, in der Stunde der Wahrheit, hast du nicht einmal den Mut, deine erbärmliche Schar selbst zum Angriff zu führen! Hast du wenigstens den Mut, einem armseligen kleinen Halbsterblichen entgegenzutreten? Komm heraus und zeig dich, denn ich warte auf dich, und früher oder später werde ich dich aufspüren!«
»Wie du willst, Lyannen, der Halbsterbliche!«
Lyannen zuckte zusammen. Der Herr der Finsternis stand vor ihm, ganz in Schwarz und Violett gekleidet. Er schien ganz plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht zu sein. Er lächelte sogar. Hinter ihm bemerkte er einen jungen Mann mit flammenroten Haaren, einen Mann, dem Lyannen schon einmal begegnet war. So wie er
sich verhielt, hätte er sowohl der Freund wie auch einer der Diener des Herrn der Finsternis sein können, und vielleicht war er auch beides. Er war bis an die Zähne bewaffnet, trug mindestens drei Kurzschwerter und jede Menge Dolche unterschiedlichster Länge in seinem Ledergürtel um die Hüfte. Einen langen Zweihänder mit einer gebogenen Klinge hielt er in der Hand. Im Gegensatz zu ihm schien der Herr der Finsternis unbewaffnet zu sein. Aber das Glitzern seiner leuchtend blauen Augen war tödlicher als alle scharfen Klingen.
Gylion Herz aus Eis und Lyannen, der Halbsterbliche, starrten einander wortlos an. Während sich dieser Moment endlos lange auszudehnen schien, hatte jeder seine Augen in die des anderen versenkt, die Muskeln angespannt und den Kopf stolz erhoben. Es war, als träfen sie einander nach langer Zeit wieder und müssten erst entdecken, dass sie sich verändert hatten. Und dennoch war es nicht so, das wusste Lyannen genau. Vielleicht waren sie einander ja in einem früheren Leben begegnet, oder vielleicht stellten sie einfach nur fest, dass sie
Weitere Kostenlose Bücher