Gefaehrten der Finsternis
anders waren, als sie es sich vorgestellt hatten. Mit Sicherheit wusste der Herr der Finsternis mehr über Lyannen als der über ihn. Und doch standen sie sich nun als ebenbürtige Gegner gegenüber.
»Lyannen, der Halbsterbliche«, sagte Gylion Herz aus Eis mit seiner eisklaren Stimme und verzog seine Lippen zu einem beunruhigenden Lächeln, das seine kleinen weißen Zähne entblößte. »Wie lange habe ich auf diesen Moment gewartet! Seit eurem Aufbruch hoffe ich darauf, dir gegenüberzustehen. Oh, du bist wirklich ein interessanter Fall, ja wirklich. Der Sohn eines der Ersten und einer Sterblichen, der sich in eine Prinzessin verliebt, wo er schon Schwierigkeiten haben dürfte, eine ganz gewöhnliche Dirne aufzutreiben, die sich mit ihm abgeben würde. Der sich teils aus eigenem Willen, teils wegen der Verachtung der anderen abseits hält und zum Rebellen wird. Der schon seit Jahrhunderten über Magie verfügt, ohne dass er es jemals bemerkt
hätte - man kann wirklich nicht sagen, dass du normal wärst.Von all meinen Feinden interessierst du mich am meisten.Vielleicht liegt mir deshalb so viel daran, dich höchstpersönlich zu töten - ich möchte verstehen, was dich ausmacht.«
Lyannen presste die Zähne aufeinander. Am liebsten hätte er sich jetzt auf seinen Feind gestürzt und ihm dieses hässliche Lächeln aus seiner widerlichen Fratze gerissen. Aber er hielt sich zurück. Schließlich stand er einem schrecklichen und äußerst klugen Gegner gegenüber, also musste er vorsichtig vorgehen.
»Warum?«, fragte Gylion mit einer Stimme, die interessiert und verächtlich zugleich klang. »Das frage ich mich schon von Anfang an, weißt du? Warum verlässt einer wie du die Sicherheit einer uneinnehmbaren Zuflucht, um einem Feind entgegenzutreten, für den er nichts als eine lästige Fliege ist, die er leicht zerquetschen kann? Warum macht er weiter, obwohl alle ihm davon abraten, obwohl er selbst am besten weiß, dass er es nicht schaffen kann? Antworte mir, Lyannen Halbsterblicher, ehe ich dich töte. Beantworte mir diese Frage, lass mich wissen, was ich nicht begreifen kann.Warum willst du hier sterben?«
Ohne einen bestimmten Grund spürte Lyannen, dass ihm ein Lachen in der Kehle emporstieg, doch es klang keineswegs heiter, sondern bitter und verzweifelt. Er ließ es trotzdem heraus, und für ihn war es, als lache dort ein anderer und nicht er, und als hätte nicht er den Mut gefunden, dem Herrn der Finsternis ins Gesicht zu lachen. »Ach so, du verstehst es nicht«, sagte er und merkte, dass in seiner Stimme ein merkwürdiger Misston mitschwang, den er nicht beabsichtigt hatte, denn über die Wut hinaus, die er in sich trug, lag jetzt auch Mitleid darin. »Du hast kein Herz, so ist es doch? Alles, was für dich zählt, ist siegen, allen zu befehligen, anderen Leid zuzufügen. Einer wie du kann das nicht verstehen! Das wird er niemals. Mich interessiert es nicht, ob meine Taten mir letzten Endes den Tod oder den Sieg einbringen werden.Wichtig ist allein, dass ich es aus Liebe tue! Für Eileen!«
Eileens Name schien in seinem Kopf tausendfach widerzuhallen, bis er ihn vollends betäubte. Für Eileen. Für das Leid der Frau, die er liebte. Um das zu rächen, was man ihr angetan hatte. Deshalb war er nun hier, um abzurechnen.
»Eileen!«, wiederholte er. Seine Stimme klang ruhig, aber hinter dieser augenscheinlichen Ruhe stand all die Wut, die sich in ihm angesammelt hatte. »Sag mir, wo Eileen ist, elender Schuft!«
Dieses Mal lachte Gylion auf. Aber auch sein Lachen war bar jeder Freude und Heiterkeit, ein grausames Lachen.
Lyannen entflammte vor Zorn. Was er da vernahm, war das Lachen eines Verrückten. Allein bei seinem Anblick ekelte es ihn vor Verachtung. Dieser Kerl sah aus wie die Inkarnation des Wahnsinns, des Bösen und der Abartigkeit.
Ihm wurde klar, dass er diesen Blick keinen Moment länger ertragen konnte. Deshalb wandte er die Augen von seinem Feind ab. Aus irgendeinem Grund wanderten seine Augen zu denen des jungen Mannes mit den flammenroten Haaren. Er starrte in seine merkwürdigen leuchtenden Augen, die weder eindeutig grün noch gelb waren. Scrubb erwiderte schweigend seinen Blick, und Lyannen wunderte sich, dass diese beeindruckenden Dämonenaugen so bestürzt wirkten. Er fragte sich, was die rätselhafte Gestalt in Weiß wohl gesehen haben mochte, was er wusste und er, Lyannen, sich nicht einmal vorstellen konnte. Und was diese Unruhe in seinen Augen ausgelöst haben mochte.
Einen
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