Gefaehrten der Finsternis
seines besten Freundes bis zu jenem Moment benutzt hatte, an dem es Scrubb gelungen war, die Kraft zum Verrat aufzubringen, war allerdings keineswegs tot.
Und höchstwahrscheinlich war er der Einzige, der das wusste, oder es zumindest vermutete.
Der Wolkenbruch hatte sich gelegt, das Prasseln des Regens draußen vor seinem Fenster war zu einem leisen Rauschen geworden. Doch dann zerriss ein weiterer sturzbachartiger Schauer die gerade wiedergewonnene Stille noch heftiger als der erste. Das Unwetter wütete gnadenlos. Genauso gnadenlos würden auch der Krieg und die Finsternis wieder toben, und das würde geschehen, wenn Scrubb niemanden sagte, was er allein wusste und was er bis zu diesem Moment für sich behalten hatte. Wenn er nicht noch einmal Gylions Vertrauen missbrauchte, um ihn endgültig zu vernichten, würde die Vergangenheit ganz plötzlich die angelehnte Tür wieder aufreißen und seine Gegenwart, die aller zerstören. Diesmal allerdings nicht nur als beängstigende Erinnerung, sondern als etwas Körperliches, das man mit Händen greifen konnte. Er musste doch nur am folgenden Morgen dieses Zimmer verlassen und mit jemandem reden, mit dem Statthalter zum Beispiel, oder mit dem jungen Prinzen, der ihn so höflich behandelt hatte, und ihnen erzählen, was er wusste - dass die Finsternis nicht gestorben war, dass es jenseits der Grenzen der Welt einen Schlupfwinkel gab, den ihr großer Feind sich für den höchst unwahrscheinlichen Fall eingerichtet hatte, dass etwas nicht nach Plan lief. Dass sich die Finsternis jetzt an jenem unzugänglichen Ort aufhielt, der fast unmöglich zu erreichen war, um neue Kräfte zu sammeln, ehe sie noch einmal angriff, noch heftiger als beim ersten Mal, aus dem Hinterhalt und völlig überraschend. Und er musste ihnen sagen, dass nur einer diesen Schlupfwinkel finden, die Finsternis bis in die hinterste Ecke ihrer Zuflucht hetzen und dann vernichten konnte.
Er wusste, wer das war: Er konnte seinen Namen nennen und so den Ewigen die Möglichkeit geben, das Spiel endgültig zu beenden. Oder er konnte schweigend abwarten, dass die Finsternis
erneut ihre ahnungslosen Gegner traf. In jedem Fall wurde er, Scrubb Thelonius Vyrkan, noch einmal zum Verräter. Und wie beim ersten Mal würde der Verrat den Gang der Ereignisse und sein ganzes Leben verändern, jetzt und immerdar. Wenn er den Mund aufmachte und dies alles den Ewigen enthüllte, die ihn nach seinem ersten Verrat warmherzig aufgenommen und als Held gefeiert hatten, würde er sich damit entscheiden, für immer auf der anderen Seite zu stehen und ein für alle Mal die Tür zu seiner Vergangenheit zuzuschlagen. Mit dieser Entscheidung verleugnete er Gylions Freundschaft und seine eigene Dämonenidentität und begänne noch einmal von vorne, in einer anderen, einer strahlenderen, gerechteren Welt, der er zwar noch nicht angehörte, aber mit ein wenig gutem Willen vielleicht bald verbunden war. Oder er schwieg - dann wäre es wie vorher, der zweite Verrat würde den ersten aufheben und die Finsternis - jene Finsternis, die durch Gylion zu ihm gesprochen hatte - würde in ihrem neuerlichen Triumph auch ihn nicht vergessen, der ihr letzten Endes den Sieg ermöglichte, würde ihm einen Platz an ihrer Seite anbieten und dabei gnädig über das hinwegsehen, was mehr ein überstürzter Akt der Rebellion gewesen war als geplant und was man im Grunde als Fehler betrachten konnte.
Und während nun das Unwetter über den Feldern rings um die Feste Syrkun wieder seine ursprüngliche Wucht erreichte, die schon erloschen schien, dachte Scrubb nicht daran, dass seine Wahl das Schicksal der ganzen Welt und der beiden beteiligten Gegner ändern könnte, sondern nur daran, dass jede seiner Entscheidungen, wie immer sie auch ausfielen, sein Schicksal, das persönliche Schicksal von Scrubb Vyrkan, unwiderruflich verändern würde.
Er schloss das Fenster wieder, doch damit konnte er das Geräusch des Wolkenbruchs nur dämpfen. Dann ging er schleppend zu seinem zerwühlten Bett, während ihm immer noch der prasselnde Regen in den Ohren klang. Er spürte noch die Kühle des
Windes auf seinem Gesicht, während tausend Gedanken in seinem Kopf herumtosten. Er setzte sich auf die Matratze, die unter seinem Gewicht ächzend nachgab. Das Zimmer war dunkel und in der Dunkelheit konnten seine scharfen Augen die schweigenden schattenhaften Silhouetten der Möbel, den Türrahmen und den Spalt zwischen den Fensterläden wahrnehmen. Regen rauschte so heftig
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