Gefaehrten der Finsternis
merkwürdigen prophetischen Traum schon so viele Male durchlebt, dass er nur zu gut wusste, was jetzt geschehen würde. Und genauso wusste er, dass er noch nicht bereit war, all dem entgegenzutreten.
Nun quoll dichter grauer Rauch aus dem Riss im Boden, wie eine üble Ausdünstung direkt aus den Eingeweiden der Erde.Vor seinen Augen ballte sich der Qualm zu einer riesigen Wolke und
nahm schließlich die Umrisse einer unförmigen, schrecklichen Gestalt an.Wurde so real und körperlich wie er selbst.
Vor ihm stand die Finsternis in ihrer wahren Gestalt als göttliches Wesen.
Lyannan hatte noch nie etwas so Grauenhaftes gesehen. Dieses Etwas, das sich nun vor ihm aufbaute, übertraf seine düstersten Vorstellungen. Die Gestalt war ungefähr zehn Meter groß, vielleicht auch mehr, und schien in ein langes schwarzes Gewand gehüllt zu sein, dessen Umrisse in Ringe aus Rauch übergingen. Vom Gesicht, dessen Haut so schwarz wie Tinte glänzte, war nur das scharf geschnittene Profil zu erkennen - es schien wie aus Lavagestein gemeißelt. Die Augen leuchteten rot wie glühende Kohlen und waren das Einzige, was man deutlich sehen konnte. Vor ihrem Blick musste man die Augen abwenden.
»Nun bist du also hier«, sprach die Finsternis, und ihre Stimme donnerte lauter als jedes Gewitter. Lyannen bemerkt, dass sie sich aus drei oder vier verschiedenen Stimmlagen zusammensetzte, die eine etwas schriller, die andere deutlich tiefer, ganz genau wie in seinen Albträumen.
Lyannen erwiderte nichts. Er hatte nichts zu sagen, er hielt sich nicht für besonders begabt oder besonders mutig. Ungeeignet beschrieb es wohl am besten.Wenn seine Träume stimmten, dann würde er vor dem Ende, wie auch immer das aussehen würde, erst noch schrecklich leiden müssen. Inzwischen hatte er sich in sein Los gefügt.Wenn das hier unvermeidlich war, würde er sich ihm nicht weiter entgegenstellen. Er konnte das Schicksal nicht ändern und das wusste er auch. Er konnte nur kämpfen und das würde er nach all seinen Kräften tun.
»Bist du gekommen, um mich erneut herauszufordern?«, fragte die Finsternis und lachte leise. Ihre Augen funkelten boshaft. »Glaubst du etwa, dass du mich besiegen kannst?«
Lyannen blickte hinunter auf den Boden, um nicht in diese flammenden Augen sehen zu müssen, die ihn zu durchbohren
schienen. Er fühlte sich vom Gewicht einer Kraft erdrückt, die riesig und unerträglich auf ihm lastete. Und doch bemerkte er verwundert, dass er keine Angst hatte. Die Hand, die sein Schwert hielt, war ruhig, genau wie sein Verstand. Im Angesicht dessen, was seinen sicheren Tod bedeuten würde, fürchtete er sich nicht, sondern ergab sich in sein Schicksal.
»Nein«, antwortete er schließlich. »Das denke ich nicht. Ich glaube nicht, dass ich das erreichen kann, was die anderen von mir erwarten, und das habe ich noch nie geglaubt. Ich weiß, dass ich dem nicht gewachsen bin.«
»Und warum bist du dann hier?« Die Finsternis lachte höhnisch. »Suchst du einen Tod, der diesen Namen auch verdient?«
Lyannen schaute hoch, und da wurde ihm bewusst, dass er dem Blick auf einmal standhalten konnte. »Ich bin hier, weil es meine Pflicht ist«, verkündete er. »Auch zu sterben ist meine Pflicht, und wenn es sein muss, dann werde ich es tun.«
Ein Blitz zuckt durch die flammenden Augen der Finsternis. Der dunkle Umhang, der dieses Wesen einhüllte, öffnete sich, und eine knochige Hand mit langen schwarzen Klauen streckte sich Lyannen entgegen. »Dann stirb.«
Plötzlich ließ Lyannen sein Schwert fallen. Er hatte diese Worte schon einmal im Traum gehört und wusste, was darauf folgen würde - ein heftiger Schmerz, der Geschmack von Blut im Mund, das Gefühl, als würden ihm alle Knochen gebrochen. Genauso schnell, noch ehe die Finsternis die letzte Silbe ausgesprochen hatte, hatten seine Hände den Sternenanhänger umfasst. In dieser Bedrängnis, angesichts der unermesslichen Zauberkraft seines Gegners, würden gewöhnliche Waffen ihm nichts nutzen. Er konnte nur auf die Magie vertrauen, auf diese so unbeständige und unvorhersehbare Macht, und hoffen.
Und ein Hoffnungsschimmer durchzuckte ihn, als er das Silber des Sterns erneut warm unter seinen Fingern spürte.
Sofort danach fuhr ihm ein stechender Schmerz die Wirbelsäule
hinab, als ob ihn ein Blitz voll getroffen hätte. Es war sogar schlimmer als in seinem Traum, schlimmer als alles, was er je in seinem Leben gespürt hatte. Der Schmerz breitete sich im ganzen Körper aus,
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