Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Gefaehrten der Finsternis

Titel: Gefaehrten der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chiara Strazzulla
Vom Netzwerk:
Auftreten instinktiv Respekt ein. Er ging seinen Freunden mit erhobenem Kopf voran, den Reisesack über die Schulter gehängt. Er trug Reisekleidung aus grüner Seide, ähnlich der, die sein Vater auf seinen Streifzügen durchs Reich der Wälder getragen hatte, dazu braune Stiefel. Hinter sein rechtes Ohr hatte er sich eine Lilie gesteckt, doch die war nicht schwarz wie die Blüten, die Vandriyan immer trug, sondern milchig-weiß mit rötlichen Einsprengseln. Die Botschaft, die die Blume vermitteln sollte, besagte ganz klar: »Ich bin ein Sohn, der seines Vaters, des Hauptmanns Vandriyan, würdig ist, aber ich will nicht nur ein Abbild von ihm sein. Ich möchte so angenommen werden, wie ich bin, und nicht nur deshalb, weil mein Vater einen großen Namen trägt.« Es war ein wirklicher Akt der Auflehnung, der Rebellion, doch keiner wagte, ihn darauf anzusprechen, da er so ernst und finster dreinschaute, dass es schon beinahe beängstigend wirkte.
    So gingen sie gemessenen Schritts zur Weißen Residenz. Lyannens Herz klopfte stark in seiner Brust, sein Pochen klang wie Schläge von fernen Trommeln. Am liebsten hätte Lyannen jetzt laut aufgelacht, auch wenn er gar nicht so genau wusste, warum. Würde er damit nicht über seinen eigenen Tod lachen? Die Menge schrie, jubelte oder tauschte flüsternde Bemerkungen aus. Er fühlte Hunderte von neugierigen Augen auf sich ruhen. Was würde wohl sein Vater denken, wenn er ihn jetzt sehen würde - genauso gekleidet wie der Hauptmann selbst?

    Die Sonne durchflutete den Innenhof der Residenz und ließ ihn in einem geradezu mystischen Weiß erstrahlen. Lyannen musste geblendet die Augen zusammenkneifen. Die Menge drängte heran, um die Gefährten näher zu betrachten. Dann ertönte eine Trompete. Das Stimmengewirr erstarb. Lyannen hielt den Atem an; gleich würde der König erscheinen und damit war der entscheidende Moment ihres Aufbruchs gekommen. Wollte er wirklich gehen?
    Seine Gefährten hinter ihm verbeugten sich. Der König muss irgendwo in der Nähe sein, dachte Lyannen, doch er konnte nichts sehen. Etwas verwirrt verbeugte auch er sich ehrfürchtig. Seine rabenschwarzen Haare fielen im ins Gesicht und bildeten eine undurchdringlichen Vorhang, sodass er weiter nichts erkennen konnte. Er verharrte in dieser Haltung und lauschte auf die Geräusche seiner Umgebung. Plötzlich spürte er, wie irgendjemand, wahrscheinlich Validen, ihn in die Rippen boxte. Daraufhin richtete er sich wieder auf, warf die Haare zurück und schaute vor sich. Er zuckte zusammen.
    Der König war mit seinem vollzähligen Gefolge erschienen und stand direkt vor ihm, kaum zwei Meter von ihm entfernt. Sein Anblick forderte den Jungen Respekt ab. Er war in blau und grau gekleidet. Die mit blauen Edelsteinen besetzte Krone des Reiches ruhte auf seinen langen silbernen Haaren und in seinen seltsam dunklen, lebhaften Augen lag ein wissendes Funkeln. Er lächelte ermutigend, doch jeder sah, wie viel Mühe ihn dieses Lächeln kostete, konnte deutlich die Sorge hinter seiner zur Schau getragenen Heiterkeit erkennen. Seine Augen ruhten auf seinem Neffen. Lyannen spähte aus den Augenwinkeln zu seinem Freund hinüber und sah, dass Validen dem Blick des Sire begegnete. Er blickte dem König so direkt in die Augen, dass es fast frech wirkte. Dann schaute Lyannen zu seinem eigenen Vater, der in seiner grünen Uniform aufrecht zwischen Alvidrin und dem Sire stand. Er musste verlegen die Augen niederschlagen, weil
ihn der intensive Blick von Vandriyans grünen Augen beinahe zu durchbohren schien. Auch Drymn, der einige Schritte hinter Lyannen stand, schien sich angesichts seines Vaters nicht ganz wohl zu fühlen.
    »Ihr wisst«, begann nun der König mit ernster tiefer Stimme, »warum ihr hier seid. Ihr habt euch entschlossen, zu einer Mission aufzubrechen, von der es vielleicht keine Wiederkehr gibt. Ihr habt euch dazu entschlossen, obwohl ihr diese Aufgabe auch jemand anderem, jemand Erfahrenerem hättet überlassen können. Ihr habt euch dazu entschlossen, weil euch das Wohl aller am Herzen lag, auch wenn diese Entscheidung höchstwahrscheinlich nicht ganz selbstlos war.« Lyannen fühlte sich urplötzlich ertappt. Er warf einen schnellen Blick zu seinen Freunden hinüber, doch Elfhall, Drymn und Validen standen regungslos da und lauschten aufmerksam den Worten des Königs. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als es ihnen gleichzutun.
    »Was immer euch zu dieser Wahl getrieben hat«, fuhr der Sire fort, »ich

Weitere Kostenlose Bücher