Gefaehrten der Finsternis
und ging weiter. Slyman folgte ihm, hatte dabei aber Schwierigkeiten, mit den weit ausholenden Schritten seines Anführers mitzukommen. »Wir wissen nichts über die vielen Dinge, die sich jenseits der Grenze des Todes befinden«, erwiderte der Einsame in seinem gewohnt ruhigen Tonfall, unbeeindruckt von der Weite des unbekannten Landes, das seinen Worten zu lauschen schien. »Sie ist keine gewöhnliche Grenze, denn man kann sie so lange nicht überschreiten, wie man einen Körper besitzt, und sobald man sie überschritten hat, kann man nicht mehr zurückkehren. Keiner weiß, was dahinterliegt, und keiner der Ewigen könnte sich anmaßen,
Vermutungen darüber anzustellen.Wenn jemand, der größer ist als wir, beschlossen hat, dass wir über diese Dinge nichts erfahren sollen, dann sollten wir uns seiner Entscheidung beugen.« Das sagte der Einsame zwar in entschiedenem Ton, aber Slyman hatte gleich den Eindruck, dass er diese Schicksalsergebenheit nicht teilte. »Und doch«, sagte der Einsame auch gleich darauf und strich sich die Silberhaare aus dem Gesicht, »muss ich immer darüber nachdenken, dass eine Seele, die ihren Körper verloren hat, versuchen könnte, einen neuen zu finden. Ein ewiger Kreislauf, Slyman, ein Kreislauf von Seelen, die bis ans Ende aller Tage in den verschiedensten Formen immer wieder auf die Welt zurückkehren. Aber wenn man solche Gedanken äußert, halten die Ewigen das für Ketzerei. Und vielleicht bin ich ja auch ein Ketzer, wenn ich jetzt mit dir darüber spreche.« Er schnaubte verächtlich, als ob er Anstoß daran nähme, dass man seinem Denken Schranken auferlegen wollte. »Andere meinen, dass es einen Ort gibt, an den die Schatten nach dem Tod wandern, aber das vermag nicht einmal ich mir vorzustellen. Und wieder andere meinen, dass es nur das Vergessen gibt, das ewige Nichts. Dir steht frei zu denken, was du willst. Aber vielleicht haben auch die recht, die beschlossen haben, dass man nicht weiter über Dinge nachdenken sollte, die man doch nicht nachprüfen kann.«
Er schwieg, und es war klar, dass für ihn das Gespräch beendet war. Nun war wieder ausschließlich das Knirschen des Erdreichs unter den Sohlen ihrer Stiefel in der dicken, feuchten Nebelluft zu vernehmen.
Angeregt von den Worten des Einsamen, wirbelten die Gedanken in Slymans Kopf durcheinander. »Es heißt aber auch, dass niemand die Grenze überschreiten sollte, die wir gerade hinter uns gelassen haben«, wagte der junge Ewige anzumerken. »Es gibt doch einen Grund dafür, dass man diese Gegend die Unbekannten Länder nennt, nicht wahr? Wenn es nach den Ewigen geht, müssten wir verrückt sein, weil wir überhaupt hier sind.«
Der Einsame sah Slyman schräg von der Seite an. Er war plötzlich ganz nah und einen Moment lang umspielte ein Lächeln seine Lippen. Nur einen winzigen Moment lang. Dann schaute der Einsame wieder nach vorn in den Nebel, und seine Stimme klang ernst, ja beinahe reumütig. »Vielleicht bin ich das ja«, sagte er barsch.
Mit nervösen Fingern schloss Lyannen seinen Reisesack und hob ihn prüfend hoch, ob er auch nicht zu schwer war. Das hatte er nun schon mindestens zwanzig Mal gemacht, aber er wurde einfach nicht ruhiger.Vor ein paar Tagen noch hätte er nicht einmal im Traum daran gedacht, dass er je zu einer so wichtigen Mission aufbrechen würde. Und doch war es jetzt so weit und das Schicksal des Reiches und Eileens Leben hingen von ihm ab.
Lyannens Gefährten wirkten genauso aufgeregt - oder vielleicht sogar noch aufgeregter. Elfhall saß in einer Ecke und kaute nervös auf einem Strohhalm herum, Drymn stand vor einem Spiegel, ordnete seine Frisur, pfiff vor sich hin und gab sich betont gelassen.Validen saß auf seinem Reisegepäck und polierte die Klinge seines Schwertes; er war sichtlich stolz, dass er diese Waffe tragen sollte. Es handelte sich um das Schwert, das die Herrscher des Ewigen Königreiches eigentlich vom Vater an den Sohn weitergaben. Für Validen, den letzten männlichen Nachkommen der Königsfamilie, war es eine große Ehre, diese ruhmreiche Waffe tragen zu dürfen, die schon zahllose schicksalhafte Kämpfe gesehen hatte.
»Ich glaube, wir sollten jetzt aufbrechen.« Lyannen zwang sich zu einem Lächeln und warf sich den Reisesack über die Schulter. Er drückte die Tür einen Spalt auf und spähte vorsichtig nach draußen.
Eine jubelnde Menge drängte sich in den strahlend weißen Straßen der Hauptstadt. Es war klar, dass all diese Leute gekommen waren,
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