Gefährtin der Dämmerung
Bones da, und das hätte mir vielleicht eine Warnung sein sollen. Womöglich lag es an meinem Zusam menstoß mit der Betonwand, dass ich so träge war. Vielleicht hatte Bones sich aber auch tatsächlich so schnell nach vorn ge stürzt, selbst an Vlad und Spade vorbei, die noch versucht hat ten, sich ihm in den Weg zu stellen.
»Da hast du sie.«
Das Messer, mit dem er sich vorhin die Haut aufgeritzt hat te, war noch in seiner Hand. Mit einer mörderischen Drehung stieß er es Rattler ins Herz, kaum dass er die Worte ausgespro chen hatte.
Während des Sekundenbruchteils, in dem die Blicke der beiden Vampire sich trafen, ich vergeblich an Bones' Arm zerr te und die Umstehenden in Protestgeschrei ausbrachen, hätte ich schwören können, dass Rattler ein Lächeln auf den Lippen hatte. Es verschwand, als er starb. Sein Körper sank in sich zu sammen, und seine Haut fing vor meinen Augen an zu ver dorren.
»Bones, warum?«
Nun stellte ich ihm die verzweifelte Frage. Mit einem Ruck drehte er sich zu mir um.
»Weil ich an seiner Stelle das Gleiche getan hätte, deshalb habe ich ihm vergeben.«
In der kurzen betretenen Stille, die dann eintrat, meldete ich mich noch einmal zu Wort. »Aber ich habe ihm nicht ver geben.«
Nur der Schmerz in Bones' Stimme hielt mich davon ab, ihn anzuschreien. Stattdessen sprach ich, genau wie er es in solchen Augenblicken tat, besonders leise.
»Ich habe dieses Miststück lachen hören, als sie mir die Nach richt von deinem Tod überbrachte. Und als sie mir gesagt hat, es wäre meine eigene Schuld, habe ich ihr Gesicht gesehen. Bin ich es nicht wert, gerächt zu werden? Zählt mein Schmerz nichts im Vergleich zu Rattlers? Was du getan hast, war vielleicht barmherzig, aber es war falsch, Bones. Du hast mich das ge lehrt. Du hättest Rattler nicht umbringen sollen, egal wie sehr du mit ihm fühlen konntest. Ich habe dir Max überlassen. Und du hättest mir Rattler lassen sollen.«
Und damit verließ ich den kleinen Raum durch die Gasse, die die anderen Vampire für mich freimachten.
2 9
Weil Bones vorgegeben hatte, noch geschwächt zu sein, bevor wir wussten, wer der Verräter war, hatte er nicht viel Zeit bei dem Gefangenen verbracht, zu dessen Festsetzung er während des Überfalls am Bahnhof selbst beigetragen hatte. Anubus war Patras Stellvertreter, und den hatten wir in dem ganzen Durch einander nach Bones' Rückkehr fast vernachlässigt, obwohl ich nicht glaubte, dass er etwas dagegen einzuwenden hatte. Er wirkte sogar beinahe ein bisschen überrascht über unseren Be such.
Im Grunde sah ich ihn zum ersten Mal. Meine Begegnung mit ihm, als Ian, Rodney und Spade ohne Bones eingetroffen waren, konnte man schließlich nicht mitrechnen. Anubus war groß für einen Ägypter, fast einen Meter neunzig, und sein lan ges glattes Haar und die markanten Gesichtszüge ließen seine Herkunft klar erkennen. Er wirkte auch gar nicht wie ein Ge fangener, dem eine schwere Strafe bevorsteht. Genau genom men machte er sogar einen recht entspannten Eindruck, obwohl er angekettet an einer Stahlwand hing.
Er musterte mich mit finsterem Blick, genau wie ich ihn.
Eiskalt. So etwas wie Beunruhigung sah ich erst in seinen Au gen aufflackern, als ich beiseitetrat, damit er sehen konnte, wer hinter mir stand.
»Ah, hallo Anubus. Ist bestimmt fünfzig Jahre her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Du erinnerst dich sicher noch. Damals hatte ich gerade dieses kleine Flittchen kennenge lernt, das mich in sein Landhaus abgeschleppt und sich dann im Bett als solcher Flop erwiesen hat, dass ich beinahe keinen hoch gekriegt hätte. Kann mich nicht erinnern, dass sie sich unter mir auch nur einmal bewegt hätte. Stundenlang ging das so, nicht wahr? Mann, wenn in der Matratze ein Loch von halbwegs pas sender Größe gewesen wäre, hätte ich meinen Schwanz wohl lieber da reingesteckt ...«
Der Rest des Satzes ging in wütendem Gebrüll unter. Ich schaffte es, ein unbewegtes Gesicht zu machen. Bones hatte mich vorgewarnt. Er wollte Anubus provozieren, der Patra für eine Gottheit hielt. Ich hatte trotzdem dabei sein wollen. An scheinend war es ihm ernst gewesen, als er gesagt hatte, er wür de sich recht derb ausdrücken müssen, um den anderen aus der Reserve zu locken.
»Schweig, Abschaum! Ich kann nicht glauben, dass du immer noch am Leben bist, aber das wird nicht mehr lange so bleiben.
Das Höllenfeuer ist noch zu gut für dich.«
»Oho«, gluckste Bones. »Hat sie dich also immer noch nicht
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