Gefährtin der Dämmerung
und zog ein Messer aus der Hosentasche. »Ich hol's nach. Versprochen.«
Er schnitt sich die Handfläche auf und legte sie mir auf den Kopf. Das Kribbeln setzte beinahe sofort ein, als die Wunde heilte. Noch einmal streiften mich seine Lippen, dann ließ er mich los und wandte sich dem Vampir zu, der die ganze Auf regung verursacht hatte.
»Warum?«
In seinem Tonfall schwang die Androhung von Strafe genauso mit wie der Schmerz über den Verrat. Rattler senkte den Blick.
Spade rammte ihm den Ellenbogen mit solcher Wucht in den Brustkorb, dass sein halber Arm von der Bildfläche verschwand.
»Er hat dich was gefragt, Walter!«
Walter beziehungsweise Rattler keuchte vor Schmerz, und Bones legte Spade eine Hand auf die Schulter.
»Schon in Ordnung, Kumpel. Bevor wir gewalttätig werden, soll er erst mal die Chance bekommen zu gestehen.« An Rattler wandte er sich in viel schärferem Tonfall.
»Du weißt, wie das laufen wird. Wie tapfer du dich auch ein schätzt, jeder gibt irgendwann auf. Du hast also die Wahl: Ent weder erzählst du uns haarklein, wann, wie und warum du dich auf Patras Seite geschlagen hast - dann hast du wenigstens noch all deine Körperteile und deine Haut am Leib ... Oder wir rei ßen sie dir so schnell ab, wie sie nachwachsen können.«
Die düstere Drohung ließ ausnahmsweise kein Mitgefühl in mir aufkommen. Ich musste mich sogar schwer zusammenrei ßen, damit ich mich nicht selbst auf Rattler stürzte und ihn ge nüsslich in Stücke riss.
»Ging es dir ums Geld?«, zischte ich. »Die unermesslichen Reichtümer, die Patra versprochen hat? Warst du einfach nur habgierig?«
»Geld interessiert mich nicht.« Ob er es zu mir oder Bones gesagt hatte, wusste ich nicht; Rattler sah uns beide an. »Was ich getan habe, geschah aus Liebe.«
»Aus Liebe?«, fragte ich. »Du liebst Patra? Dann bist du nicht nur ein mieser Verräter, sondern auch noch ein Vollidiot.«
»Nicht Patra. Vivienne.«
»Patra hat Vivienne umgebracht, warum solltest du ...«, warf Bones ein, dann unterbrach er sich. Er schüttelte den Kopf und stieß dabei einen Laut aus, der so eiskalt klang, dass er sich schon nicht mehr wie ein Lachen anhörte.
»Ah, jetzt verstehe ich. All die Zeit über also? Angeblich ist Vivienne doch schon vor Monaten ermordet worden. Ich habe dich bedauert, du Mistkerl, und du hast die ganze Zeit über nur auf deine Chance gewartet!«
Da dämmerte es mir. Mir kam der Abend in den Sinn, an dem Mencheres' Haus von Selbstmordattentätern in die Luft gejagt worden war, die dadurch ihre Lieben schützen wollten. Patra hatte Rattler anscheinend auf die gleiche Art dazu gebracht, Bones in den Rücken zu fallen. Ihre Bosheit kannte wirklich keine Grenzen. Falls möglich, war mein Hass auf sie gerade noch größer geworden.
»Woher willst du überhaupt wissen, dass Vivienne noch am Leben ist?«, fragte Bones.
Rattler sah auf einmal noch gequälter drein als in dem Au genblick, in dem Spade ihm den Ellenbogen in den Brustkorb gerammt hatte.
»Weil Patra mich jede Woche anruft... und mich ihre Schreie hören lässt.«
Bones fing an, hektisch auf und ab zu laufen.
»Von mir weiß sie nur das mit dem Zug«, fuhr Rattler fort.
»Mit den Anschlägen auf deine Frau habe ich nichts zu tun.
Vorhin wollte ich Cat in meine Gewalt bringen und dir drohen, sie umzubringen, wenn du dich nicht vor meinen Augen tötest.
Aber dann hat Doc mich gesehen, und ich wusste, dass er mich erschießen würde, bevor ich sie in meine Gewalt bringen kann.
Also bin ich zu der einzigen anderen Person gegangen, für die die Gevatterin Tod sich noch in Gefahr bringen würde, aber ich habe versagt. Ich weiß, dass du mich zur Abschreckung für an dere bestrafen wirst, aber um eins bitte ich dich ...«
»Du wagst es, mich um etwas zu bitten?« Bones' Tonfall war schroff.
»Ich bitte nicht um Nachsicht. Ich weiß, was mit mir gesche hen wird, aber zuvor ... Bones, mein Herr, bitte ich dich um Vergebung.«
Bones blieb stehen. Es herrschte gespannte Stille. Dann trat er vor Rattler.
»1867 sind wir Freunde geworden. Fünf Jahre später habe ich dich verwandelt. Und was habe ich dir gesagt, was das schlimms te Verbrechen darstellt, das ein Vampir begehen kann?«
Rattler sah weg. »Den eigenen Meister zu verraten.«
»Genau. Du hast in den Augen deines Volkes das schlimmste aller Verbrechen begangen, und doch bittest du mich um Ver gebung. Weißt du, was ich dazu zu sagen habe, Walter Tannen baum?«
Völlig reglos stand
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